August-Bebel-Str. 7 (Wohnhaus von Familie Heinrich Hirsch, Cousin von Hugo Hirsch)

Stolpersteinverlegung am 8.7.2015

Familie Hirsch im Stolperstein-Guide

Hier wohnte Alter im
Jahr 1933
Schicksal Bemerkungen

Heinrich Hirsch
geb. 23.7.1866
gest. 26.11.1937

67

verließ GG am 17.10.1933 nach Bad Homburg und von dort am 6.11.33 nach Frankfurt, in die Wolfgangstr. 49; und am 13.11.35 in die Holzhausenstr. 58;

gestorben 1937 in Frankfurt/M

 

Fabrikant;
Grab Nr. 6c 105 auf dem Jüd. Hauptfriedhof in Frankfurt/M

Heinrich Hirsch war in GG eine herausragende Person, die sowohl als Unternehmer als auch in der wirtschaftlichen und politischen Öffentlichkeit der Weimarer Zeit Stellung bezieht, aber dann 1933 abrupt  fallen gelassen wird.

Seit Mitte der 20er Jahre musste sich Heinrich Hirsch bei aller Anerkennung immer wieder gegen Anfeindungen und Verleumdungen wehren, die durchaus judenfeindliche Ursachen hatte. Im Groß-Gerauer Kreisblatt finden sich dazu mehrere Beispiele.

 

Lina (Karoline) Hirsch, geb. Hirsch
geb. 22.11.1873
gest. 6.11.1938
60

wie oben;

gestorben 1938 in Frankfurt/M

 

Ehefrau von Heinrich
Grab Nr. 6c 106 auf dem Jüd. Hauptfriedhof in Frankfurt/M

Betty Rosenberg,
geb. Hirsch
geb. 27.11.1896
gest. Feb. 1986
in Los Angeles
37 Flucht in die USA Tochter von Heinrich und Lina;
heiratet am 4.9.1919 den Kaufmann Willi Michael (Meier) Rosenberg (geb. 15.10.1884 in Usingen; wohnhaft Bad Homburg). Die Ehe wurde 1939 geschieden; Rosenberg wurde 1942 von Frankfurt aus deportiert und ermordet.
Heirats- und Scheidungsurkunde
Clara Margarethe (Gretel) Hirsch
geb. 14.2.1898
35 Flucht ins Ausland Tochter von Heinrich und Lina;
verheiratet mit Salomon (= Nachname)
 

In mehreren Briefen schreibt Johanna Kossmann an den 1936 nach Chicago geflohenen Martin Marx:

Hier ist so wenig  Abwechslung; war am Samstag in Frankfurt, besuchte ich mal Heinrich Hirsch, den Leuten geht es sehr, sehr schlecht. Herr Hirsch hat ein Auge herausgenommen bekommen, es ist traurig, sind beide alte Leute geworden; dieselben nehmen jede Unterstützung an und zu den Feiertagen hat Dein Vater diesen schon Lebensmittelpakete geschickt; ist das nicht traurig? Sie hätten gerne, daß Fritz, ihr Enkel nach Amerika kommen könnte;  höre mal  rechts und links, ob eine Amerikan. Familie den Jungen aufnehmen würden. Herr Hirsch hat schon alle mögliche Schritte getan, aber sie müssen einen Anhaltspunkt haben. (5. 4. 1937)

Morgen fahre (ich) mit nach F(rankfurt), ich will Heinrich Hirsch besuchen.... (18.7. 1937)

Heinrich Hirsch ist sehr sehr krank, so dass Gretel (eine der Töchter) endlich die Erlaubnis erhalten hat, ihre Eltern für 14 Tage zu besuchen; das wird ein trauriges Wiedersehn gewesen sein! (22. 11. 1937)

Gestern war (ich) in Frankfurt zur Beerdigung von Heinrich Hirsch, der in den letzten Wochen noch vieles ertragen musste. Seit einigen Monaten war er auch erblindet. Der Tod war für ihn und seine Frau eine Erlösung. Mit grosser Mühe hat es Gretel noch erreicht, dass sie noch 3 Tage vor seinem Tod kommen konnte und bleibt jetzt noch 8 Tage hier. Willi Rosenberg ist jetzt wieder frei und wurde nach Italien abgeschoben. Betty (die 2. Tochter) und ihr Sohn Ernst sind noch in Amsterdam und Fritz ist noch bei seiner Großmutter in Frankfurt und hofft bald ... nach U.S.A. zu kommen. (29. 11. 1937)

Mittwoch fahren Hede und ich zu Lina Hirsch, Trauerbesuch machen. (29. 11. 1937)

Wie ich hörte, kommt Fritz Rosenberg, der Enkel von Heinrich Hirsch, jetzt in eine Familie nach U.S.A. Lina Hirsch giebt bis April den Haushalt auf und wird später nach Amsterdam zu Betty gehen. (21. 12. 1937)

Diese Woche war ..... Lina Hirsch (hier in Gross-Gerau bei Emil Marx am Sandböhl). Lina Hirsch sieht wieder etwas besser aus. Nächstens werde ich sie einmal besuchen. (3.1.1938)

Fritz Rosenberg, der Junge von Betty, fährt diese Woche nach Stuttgart (um eine Kontingentnummer zur Ausreise beim amerikanischen Konsulat zu erhalten), dann kommt (er) auch fort. (24.1. 1938)

Lina Hirsch lässt am Montag sämtliche Möbel etc. versteigern und zieht zu ihrem Bruder Albert, der ja in Frankfurt wohnt. 25.3. 1938

Gestern starb Lina Hirsch in Frankfurt und ist ihr wohl. Sie hat noch viel leiden müssen. Wir fahren am Mittwoch zur Beerdigung. Ihre Tochter Betty ist jetzt geschieden und muss doch jetzt auch wieder aus Italien weg. Willi Rosenberg soll z. Z. in Frankfurt sein. war bei.....

Jeder Tag bringt neues, aber nie was Angenehmes, und so leben wir weiter, bis ans Ende. Lina Hirsch hat es überstanden, hätte sich eigentlich noch paar schöne Tage machen können. (7. 11. 1938)

Ihr könnt auch Onkel Salomon sagen, dass Albert Hirsch und Frau von hier - es ist dies der Bruder von Frau Lina Hirsch aus G(ross) G(erau) - am 27. Juni abfahren. (28.3. 1941)

Historische Fotogalerie Hirsch

Recherchen ergaben folgende Informationen über die Menschen und die Häuser, in denen sie wohnten:

Wer ist Heinrich Hirsch?

Neben den größeren Unternehmen in Groß-Gerau, den Oppenheimers für Eisenwaren, den Marxsohns für das Braugewerbe, den Kaufhausbetreibern Kahn ist die Essig und Liqueur-Fabrik Hirsch und Söhne, fortgeführt durch die Vettern Heinrich und Hugo zu nennen.

Im Lexikon Deutscher Wirtschaftsführer „unserer Zeit“ von Georg Wenzel, Hamburg, Berlin, Leipzig (1929) lesen wir über Heinrich Hirsch:

„Fabrikant in Fa. H. Hirsch Söhne, Wein- und Obstbrennerei, Fabrik feiner Liköre, Weinessig-Fabrik, Groß-Gerau in Hess./ Groß-Gerau, August-Bebel-Straße 23 /geb. 23. 7. 1866 Wallerstädten. – Großv. Gründer d. Fa. 66; V. (Vater) Fortführer ders. – Höhere Bürgersch. Groß-Gerau; Philanthropinum Frankfurt a. M.; Realsch. Darmstadt; praktische Erlernung der Destillation und Essigfabrikation; 84 Eintritt in das väterl. Gesch.; 96 Mitinh.; Angliederung d. Ersten Bayer. Weinbrennerei AG., vorm. M. J. Fleischmann, Aschaffenburg; Vors. D. AR. Derselben. – Mitgl. D. HK. Darmstadt seit 03; Mitgl. D. Gewerbeaussch. B. Reichsmonopolamt f. Branntwein; Vor. D. Vereinigung Deutscher Edelbranntweinbrennereien, Mannheim; Vors. D. Vereinigung Deutscher Weinbrennereien, Berlin.- Seit 10 Mitgl. D. Gemeinderats Groß-Gerau; Vors. D. Demokrat. Vereins Groß-Gerau.- Verh. 2 T (Töchter).“

Alte Groß-Gerauer wissen noch mehr: Bei der Groß-Gerauer Volksbank hatte er den Vorsitz im Aufsichtsrat von 1924 bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, Vorstandsmitglied der jüdischen Religionsgemeinde, Träger der Goethe-Plakette.

Aber niemand kann Auskunft geben darüber, was aus Heinrich Hirsch und seiner Ehefrau Lina und seinen beiden Töchtern geworden ist.

In der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Verkehrsvereins Groß-Gerau 1977 beschreibt der damalige Kreisheimatpfleger Ernst Schneider die Lage so:

„1. April 1933: Kein Deutscher kauft von heute an bei Juden, war die Parole des Tages. Eine große Zahl von Mitgliedern des Verkehrsvereins wurde davon betroffen. Man ging hier in Groß-Gerau noch weiter, obwohl Ruhe und Disziplin geboten und befohlen war, man warf nachts verschiedenen Geschäftsleuten die Fensterscheiben ein, ja man scheute sich nicht und drang nachts in das Schlafzimmer des Ersten Vorsitzenden des Verkehrsvereins, des um diese Stadt so verdienstvollen Mannes, Heinrich Hirsch ein, und schlug ihn und seine Gattin gottserbärmlich zusammen.

Hier kurz die Lebensdaten des Heinrich Hirsch:

Am 23. 7. 1866 in Wallerstädten geboren, Realschule Groß-Gerau, kaufmännische Schule Darmstadt und Frankfurt, Militärzeit, Verheiratung mit Lina Hirsch aus Freudenheim. Übernahme der Firma H. Hirsch Söhne, Groß-Gerau (Branntweinbrennerei, Wein-, Essigfabrik und bedeutende Likör-Destillation im alten Großherzogtum Hessen). 1902 Wahl in die hessische Industrie- und Handelskammer Darmstadt, später Vorstandsmitglied (1933 entlassen).

1902: Aufsichtsratsmitglied, später Vorsitzender bei der Groß-Gerauer Volksbank (Mitglied derselben ab 1896). (1933 entlassen.) Gemeinderat der Stadt Groß-Gerau (1933 niedergelegt). Inhaber vieler Ehrenämter; karitative Unterstützung durch Einrichtung einer kostenlosen Essenküche in den 20er Jahren bis 1933 für die ärmere Bevölkerung und kostenlose Abgabe von Essen für arme Mütter für die Zeit ihres Wochenbettes. 1933 verprügelt und geschunden an Leib und Seele. Bei der polizeilichen Aufnahme dieses Vorkommnisses fand man, dass Heinrich Hirsch Inhaber der Goetheplakette war.

Der Vorstand des Verkehrsvereins für Groß-Gerau und Umgebung 1927: Sitzend von links nach rechts: Bürgermeister Dr. Bernhard Lüdecke, Ehrenvorsitzender Kreisrat Dr. Ernst Merck, Fabrikant Heinrich Hirsch, Mitglied der Industrie- und Handelskammer Darmstadt. Stehend v.l.n.r.: Bankdirektor Ludwig Raiß, Redakteur Richard Carl Engel, Verlagsleiter Heinrich Peitsch, Geschäftsführer Otto Lehmann, Sparkassenrechner Valentin Klink.

Am 17. 10. 1933 Wegzug nach Bad Homburg. Am 6. 11. 1933 Wegzug nach Frankfurt. Mehrmals Übernachtungen im Elternhaus des Verfassers [= Ernst Schneiders]; Überwasserhalten durch selbst gesammelten Tee (Pfefferminz und Kamille), heimlicher Verkauf in Groß-Gerau durch seine Gattin. (Der weitere Lebenslauf dieses Mannes und seiner Familie findet sich in der zur Zeit in Bearbeitung stehenden Dokumentation der Juden des Groß-Gerauer Landes durch den Verfasser).“

Wie ist es dazu gekommen, und ist das Schicksal Heinrich Hirschs, seiner Frau und Töchter aufgeklärt?

Heinrich und Hugo Hirsch, sind als Vettern Teilhaber der Fa. Heinrich Hirsch und Söhne Essig- und Likörfabrik OHG; Erben der Söhne von Hayum Hirsch (einer hieß wahrscheinlich Leonhard Hirsch); 1909 werden noch Hugo und Albert Hirsch als Inhaber zu je ½ genannt. Bei der Anlegung des Grundbuchs tauchen ebenfalls nur die Namen von Albert und Hugo als Kaufmänner auf. Albert Hirsch verkauft am 15. 11. 1911 Flur I 330 „Hofreite vor dem Frankfurter Thor“, 1473 qm an die Fa. Heinrich Hirsch Söhne für 22.500 M. Im gleichen Jahr hatten bereits Hugo Hirsch und seine Ehefrau Thekla Hannchen, geb. Selig ihre Hälfte der Immobilie für 16.500 M an die Fa. Heinrich Hirsch & Söhne verkauft.

Der Grundschuldlöschung für eine Sicherungshypothek der Fa. Hirsch über 11.500 M müssen zustimmen: Joseph Kahn und Ehefrau Auguste, geb. Hirsch in Randstadt, Oberhessen, Bernhard Baum und dessen Ehefrau Emilie, geb. Hirsch in Usingen Ts., Louis Kaufmann und dessen Ehefrau Minna, geb. Hirsch in Borken, Cassel, Moritz Kaufmann und dessen Ehefrau Klara, geb. Hirsch Groß-Gerau, Heinrich Löwenstein und dessen Ehefrau Betty, geb. Hirsch in Karlsruhe, Jakob Hirsch in Frankfurt a. M., Zeil 126, Salomon Marx, Groß-Gerau, handelnd als gerichtlich bestellter Pfleger für Ludwig Oskar Hirsch Groß-Gerau und zuletzt Heinrich Hirsch in Groß-Gerau als Mitinhaber der OHG Hirsch und Söhne sowie Stephanie Hirsch, geb. Bloch Groß-Gerau.

Nach dem Tod von Feist Hirsch, Bernhard Hirsch, Gottschalk Hirsch – alle drei frühere Firmeninhaber – übernehmen die Witwe von Bernhard Hirsch, Gottschalk Hirsch und ihr Neffe Heinrich Hirsch (= Sohn des Feist Hirsch) seit 1896 die OHG. Zum Jahresbeginn 1901 scheidet Gottschalk Hirsch Witwe aus. Ihr folgt ihr Sohn Albert Hirsch. Das Geschäft wird von Bernhard Hirsch Witwe und Erben sowie Gottschalk Hirsch Erben bzw. Albert Hirsch betrieben. 1908 erwirbt Hugo Hirsch den Anteil seiner Mutter, der Witwe von Bernhard Hirsch für 15.000 M. Albert Hirsch scheidet 1911 nach Vorvertrag aus. Die Grundbuchakte enthält einen mehrseitigen handschriftlichen Gesellschaftsvertrag mit Dokumenteneinschüben über Teilhaberschaften von Hugo, Heinrich, Bernhard, Albert Hirsch und Kaufpreisentrichtungen an Albert über 22.5000 M und Hugo über 10.500 M sowie den Kaufbrief von Hugo Hirsch vom 9. 12. 1908 über die Hofreite „vor dem Frankfurter Thor“ über 15.000 M. Am 28. 2. 1923 (!!!) wird über eine Vormerkung verhandelt: Es geht um eine Sicherungshypothek auf 20 Millionen Mark für die Hofreite der Fa. Hirsch OHG.

Am 1. 4. 1936 wird in Mainz folgender notarielle Kaufvertrag geschlossen: Heinrich Hirsch, Kaufmann, Frankfurt, jetzt Holzhausenstr. 58 und Hugo Hirsch Kaufmann Groß-Gerau Frankfurter Straße 42, handelnd für die OHG H. Hirsch und Söhne, verkaufen oben genannte Fa. an Karl Altmann, Frankfurter Straße 42, Paul Harnischmacher, Wiesbaden, Adolf Reuter, Wiesbaden und Karl Wittenstein, Mainz. Die neue Fa. heißt „Vereinigte Weinbrennereien, Likör und Essigfabrik Altmann und Co. Groß-Gerau. Kaufpreis 105.000 M mit Schuldenübernahme zum 1. 4. 1936, vollzogen am 29. 4. 1936 in Mainz.

In der Akte findet sich unvermittelt der Todesschein für Stephanie Hirsch, geb. Bloch, 84 Jahre, gest. am 18. 12. 1933; sowie der Vermerk „die Verkäufer sind Nicht-Arier“. Das bedeutet nachträgliche Genehmigung durch den Reichsstatthalter.

Mit der Laufzeit 1936-1937 liegt im Staatsarchiv Darmstadt der Vermerk über die Beschwerde des Kaufmanns Heinrich Hirsch in Frankfurt gegen Steuernachforderung an die vormalige Fa. H. Hirsch Söhne, jetzt an die Vettern Heinrich in Frankfurt und Hugo in Wiesbaden gerichtet, sowie der Entzug der Vertretung für die „Vereinigte Weinbrennereien, Likör- und Essigfabrik Altmann & Co“ in Groß-Gerau. Dies steht im Zusammenhang mit einer Sicherungsanordnung gegen die Eheleute Heinrich und Lina Hirsch, geb. Hirsch aus Groß-Gerau, vormals Teilhaber der Fa. Hirsch und Söhne, den Steuerbescheiden der Jahre 1936-1937 und den Einsprüchen der Hirschs dagegen.

Am 6. 6. 1948 wendet sich per Postkarte Thekla Hirsch, geb. Selig im Alter von 65 Jahren unter c/o Hermann Kahn 894 Riverside Drive Apt 2 D New York an das Amtsgericht Groß-Gerau mit der Bitte um einen Grundbuchauszug für das Fabrik-Anwesen Frankfurter Straße 42, um Wiedergutmachung zu beantragen. „Mein Mann, der mit seinem Teilhaber zusammen das Geschäft im Jahre 1936 verkaufte, ist leider tot und deshalb kann ich keine näheren Angaben machen. Hochachtungsvoll Frau Hugo Hirsch Thekla, geb. Selig“. Der Leiter der jüdischen Gemeinde Darmstadt, Max Wolf, wiederholt diesen Antrag für Thekla Hirsch mit einer zweiten Postkarte.

Das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Darmstadt teilt am 25. 7. 1949 mit, dass Thekla Hirsch für Flur I Nr. 330 0 1473 2/10 qm Rückerstattung beantragt hat, was zur Vermögenssperre seitens des Amtes für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung führt. Am 31. 7. 1950 gilt die Rückerstattungssache Hirsch/Altmann als abgeschlossen, und die Vermögenssperre gegen Altmann wird am 19. 6. 1951 aufgehoben. Über das zu erwartende Vergleichsverfahren Hirsch/Altmann enthält diese Akte keine Unterlagen.

Am 31. 12. 1955 hat Friedel Altmann im Erbgang die Fa. übernommen, und am 4. 8. 1956 wird für die minderjährigen Geschwister Haupt in Wiesbaden als Gesellschafter der Fa. Altmann ein Grundbuchauszug angefordert. 1959 folgen mehrere Grundschuldbestellungen durch Friederike (=Friedel) Altmann, bevor der Kaufvertrag vom 16. 5. 1959 betätigt, dass Friederike Altmann die Fläche der Essigfabrik „mit allen Regalen und Fässern“ an Heinz Grimm, handelnd für Paul Lipski Bremerhaven-Wulsdorf, verkauft hat. Am 14. 5. 1959 bestätigt das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung die Löschung aller Vermerke auf die Nacherbin Thekla Hirsch. So viel zur Abwicklung der Fabrikgebäude.

Nun zum Wohnhaus von Heinrich Hirsch in der August-Bebel-Straße 7:

Als das Grundbuch 1909 angelegt wird, ist eingetragen eine Hofreite und ein Grabgarten Fl I Nr. 393 2/10 und Nr. 393 4/10. Am 26. 3. 1935 findet sich eine Beurkundung des Kaufmanns Ernst Heinrich Mayer in Groß-Gerau und am 27. 11. 1934 eine Beurkundung zu Gunsten der Fa. Jakob Faulstroh GG. Die Eheleute Hirsch, Heinrich II und Ehefrau Lina, sind im Grundbuch 1910 und 1911 vermerkt. Im Kaufvertrag vom 28. 5. 1919 zwischen Familie Jakob Metzger (3 Personen, Ehepaar mit Sohn) und Heinrich Hirsch II und seiner Ehefrau Lina, geb. Hirsch, kauft das Ehepaar Hirsch für 22.000 Goldmark das Objekt Bd. X Bl. 774 Grundbuch GG 407 8/10 mit 431 qm „Grabgarten“ und 407 9/10 mit qm 305 „Hofreite vor dem Hospitalthor“, unterzeichnet am 11. 7. 1919.

Aus der Urkunde geht hervor, dass die August-Bebel-Straße 7 später identisch wurde mit der Peter-Gemeinder-Straße. 23. Peter Gemeinder (* 31. Januar 1891 in Dillhausen; † 30. August 1931 in Mainz) war ein Gauleiter der NSDAP und MdR. In Frankfurt war er Arbeiter und Hilfsarbeiter beim Finanzamt und wurde 1929 als Ortsgruppenleiter der NSDAP in den Wiesbadener Kommunallandtag gewählt. 1931 wurde er zum Gauleiter des Gaues Hessen-Darmstadt ernannt. Am 30. August des gleichen Jahres erlag er nach einer Kundgebung der NSDAP einem Herzschlag.

Am 11. 7. 1933 findet sich eine Grundschuldbestellung für die VOBA GG auf Grundbuch Groß-Gerau Bd. VI, Bl. 443 unter 1. Fl. I 393 2/10 „Hofreite im Dömpel“ 344 qm, imter 2. Fl. I 393 4/10 „Grabgarten im Dömpel“ 213 qm, unter 3. Fl I 407 8/10 Grabgarten 431 qm und unter 4. 407 9/10 Hofreite 305 qm, die beiden letzteren „vor dem Hospitalthor“. Unterzeichner sind Lina und Heinrich Hirsch II. über 20.000 Goldmark (GM - 1 GM = 1/2790 kg. Feingold). Für weitere Auskünfte seitens des Amtsgerichts ist H. Hirsch am 2. 8. 1933 nicht direkt erreichbar, weil er sich in Wildbad, Hotel Sommerburg zur Kur aufhält. Bei den beiden Privatgrundstücken muss es sich außer um die August-Bebel-Straße 7 auch um die Adolf-Göbel-Straße 17 handeln.

Der notarielle Vertrag vom 23. 10. 1934 zwischen 1. Ludwig Raiß, Vertreter des Heinrich Hirsch und der Lina Hirsch, geb. Hirsch, „früher in Groß-Gerau jetzt in Frankfurt a. M. Wolfgangstraße 49“, 2. H. Vollhardt, beide Vertreter der Volksbank GG und 3) Otto Faulstroh, Press- und Stanzwerk, regelt den Verkauf von 1 und 2 an 3 über 10.500 GM des Objekts Adolf-Göbel-Str. 17 (Grundbuch 443 Fl 1 407 8/10 und Fl 1 407 9/10. Die Eheleute Hirsch wohnen am 20. 10. 1934 in de Wolfgangstr. 49 und verkaufen die zwei Wohnhäuser, „im Dömpel“ und „vor dem Hospitalthor“ (Grundstücke Adolf-Göbel-Straße 17 und August-Bebel-Str. 7).

Ein weiterer Kaufvertrag vom 12. 2. 1935 zwischen Ludwig Raiß, Direktor der Volksbank (als Vertreter von Ehepaar Hirsch, Wolfgangstraße 49 Frankfurt a. M. und E. H. Mayer, Kaufmann, Neustraße 23 für 22.000 GM bezieht sich auf die Peter-Gemeinder-Straße 23 (GB 443 Fl. 1 393 21/10 Hofreite 344 qm und 393 4 1/10 Grabgarten 213 qm), auch dafür existiert die Vollmacht vom 12. 2. 1935 auf L. Raiß, ehemaliger Kollege von H. Hirsch in der Volksbank und im Verkehrsverein. Beide Hirschs unterzeichnen in diesem Falle in Offenbach. Grundbuchauszüge vom 19. 3. 1936 Bd. 443 bestätigen den Kaufvertrag.

Eine Bescheinigung des Magistrats vom 3. 4. 1936 lautet: „Es wird hierdurch bescheinigt, dass die Eheleute Kfm. Heinrich Hirsch II und Lina, geb. Hirsch, früher in GG wohnhaft waren und am 7. 10. 1933 (sic!) nach Bad Homburg zur Abmeldung gekommen sind.“ Unterzeichnet von Bürgermeister Stawinoga.

Über Bürgermeister Stawinoga gibt es folgenden Eintrag des Enkels:

„Mein Vater ist Robert Stawinoga, sein Vater, Robert Leopold Stawinoga, kam als junger Mann aus Polen, und schaffte es als junger Mann im 3. Reich, Kreisleiter von Gross-Gerau, später Gauleiter von Wiesbaden zu werden. Sein Vater hatte seeehr viele Kinder mit drei Frauen...“ schreibt der Enkel des  ehemaligen Groß-Gerauer NSDAP-Bürgermeisters Stawinoga Tim auf einem Stawinoga-Forum.

Robert Leopold Stawinoga, geb. am 15. 11. 1901 in Neustadt / Oberschlesien, von Beruf Ingenieur, gehörte im Mai 1933 zur NSDAP-Fraktion im Kreistag Groß-Gerau; er war bis 1937 Kreisleiter in Groß-Gerau und Darmstadt. Seit 1934 war er Bürgermeister von Groß-Gerau, von 1938 bis 1941 Kreisleiter in Wiesbaden. Verheiratet war er seit 1915 mit Getrud Ackermann in Groß-Gerau. (Datensammlung zu Ortsvorstandspersonen von Frieder Boss Festschrift 500 Jahre Stadt und Festung Rüsselsheim 1437-1937", S. 51; in den Archiv-Publikationen des Hess. Staatsarchivs Darmstadt existieren zahlreiche Fotos von öffentlichen Auftritten Stavinogas).

Heinrich Hirsch, am 23. 7. 1866 urkundlich in Wallerstädten geboren, wohnte vom 10. 11. 1933 bis 12. 11. 1935 in Wolfgangstraße 49 Frankfurt a. M. und jetzt seit dem 13. 11. 1935 dort in der Holzhausenstr. 58. Die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des Kaufes von Hirsch an Mayer ergeht am 17. 3. 1936. Zum 26. 6. 1936 findet sich ein Auszug zum Gütergeschoß und Zuteilungsplan für 1a) Heinrich Hirsch II 1b) Lina Hirsch, seine Ehefrau und 2) Ernst Heinrich Mayer. Damit enden die Eintragungen aus der Zeit vor 1945.

Das Grundbuch (Bd. VI, Bl. 443 Fl. I 393 2/10 und 393 4/10) gemäß MRG Nr. 52 der US-Armee vermerkt die Vermögenssperre auf August Bebel Str. 23 (die 23 ist die Übernahme der alten Nummer aus der Peter-Gemeinder-Straße; nach Neu-Nummerierung ist das die heutige Hausnummer 7); die Vermögenssperre wird immer vom Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Darmstadt, hier am 12. 7. 1949 rückwirkend auf den 31. 1. 1946 ausgesprochen. Das heißt, es dürfen keine vermögensrechtlichen Änderungen an dem ehemals jüdischen Besitz vorgenommen werden. Die Jewish Restitution Successor Organization Frankfurt fordert am 13. 10. 1949 Einsicht in das Grundbuch GG Bd. VI, Bl. 443 mit dem Sperrvermerk auf E.H. Mayer, früher Heinrich Hirsch II. Die entscheidende Eintragung findet sich am 29. 8. 1950: Aufhebung der Vermögenssperrung „nach abgeschlossenem Rückerstattungsverfahren“ zu Bd. VI, Bl. 443. Danach findet sich keine Eintragung mehr, die mit Heinrich Hirsch zu tun hat.

Es bleibt unklar, ob die Jewish Restitution Successor Organization im Auftrag des überlebenden Ehepaars Hirsch oder der überlebende Erben oder eigenständig gehandelt hat. Letzteres ist am wahrscheinlichsten.

Die Geschichte der August-Bebel-Straße 7 ist danach noch nicht zu Ende:

Für die Rekonstruktion von Hausnummern in der August-Bebel-Straße ist zu berücksichtigen, dass seit dem 14. 9. 1951 Verhandlungen über den Tauschvertrag zwischen dem Land Hessen und E. H. Meyer über Grundbuch V, 403 und VI, 443 ablesbar sind nach vorhergegangener katastermäßiger Grundstücksänderung. Der Tauschvertrag bezieht sich auf die Hofreite Adolf-Göbel-Straße 29 und ehemalige Peter-Gemeinder-Straße 23. Eigentümer der Adolf-Göbel-Straße 28 ist der Volksstaat Hessen. Es ist das Finanzamt. Eigentümer der Peter-Gemeinder-Straße 23 ist E. H. Mayer. Es geht um wechselseitige qm-Arrondierungen und Abtretungen, die mit der Erweiterung des Finanzamtsgeländes zu tun haben – im Interesse des Volksstaats Hessen. Am 1. 11. 1951 äußert sich Bürgermeister B. Lüdecke zum Tauschvertrag: „auf dem Grundstück stehen folgende Baulichkeiten: 1 Wohnhaus, 1 Verwaltungsgebäude … Bei dem Grundstück Fl. III Nr. 3 handelt es sich um jüdischen Vorbesitz“; im übrigen verzichtet die Stadt auf ihr Vorkaufsrecht, was den ehemals jüdischen Anteil des Tauschvertrags angeht. Die Vermessungsverwaltung stellt am 18. 1. 1951 den alten Bestand dem neuen gegenüber und das Grundbuch dokumentiert dies:

Eine „Abzeichnung der Flurkarte“ vom 15. 9. 1950 zeigt die Neuverteilung in der Kreuzung August-Bebel-Straße/Adolf-Göbel-Straße.