Die erlebte Judenfeindschaft des Heinrich Hirsch in Groß-Gerau

Die folgenden Texte sind entnommen aus:
Mechthild Kratz, Jüdisches Leben im Kreis GG im Spiegel der Heimatpresse 1925-1933. Ein Beitrag zur Spurensuche.
Hrsg. Förderverein Jüd. Gesch. und Kultur im Kreis GG e. V.,  Riedstadt Erfelden 2000, S. 50ff.

Die komplette Arbeit von 60 Seiten steht auf unserer Materialseite zum Download zur Verfügung.

Wie gegenwärtig Judenfeindschaft auch im Landkreis Groß-Gerau war, dafür gibt es einen wichtigen Zeugen: Heinrich Hirsch. Er nutzte seine prominente Stellung, um mehrmals in der Öffentlichkeit Antisemitismus anzuprangern. Das Kreisblatt berichtet mehr oder weniger offen davon. In einer Gemeinderatssitzung im Mai 1925 verwahrte sich Hirsch gegen die Unterstellung, seinem Antrag, in Groß-Gerau die Städteordnung einzuführen, lägen „unehrliche“ Motive zugrunde. (Kreisblatt vom 30.5.1925) Klarer wurde Hirsch in seinen Dankesworten, nachdem ihn der Bürgermeister in einer Gemeinderatssitzung zur 20-jährigen Zugehörigkeit zum Gemeinderat beglückwünscht hatte.


Nach der Rückgabe der von Frankreich besetzten rechtsrheinischen Gebiete, wird das Verhalten sogenannter Separatisten während der Besatzungszeit immer wieder im Kreisblatt thematisiert. Zu dem Kreis der des Separatismus Verdächtigten gehörten offensichtlich die jüdischen Fabrikbesitzer Alfred Mattes und Heinrich Hirsch. Am 7.7.1930 läßt Alfred Mattes in einer Anzeige durch seinen Rechtsanwalt eine Belohnung von 300 Mark für die Namhaftmachung des Täters aussetzen, der „durch Anschlag an der Fabrik Herrn Mattes in verleumderischer Weise der Teilnahme an der Separatistenbewegung beschuldigt hat“. Heinrich Hirsch verwahrt sich gegen den gleichen Vorwurf, der offensichtlich als Gerücht im Umlauf war, durch eine längere Erklärung in einer Gemeinderatssitzung, wie das Kreisblatt vom 19.7.1930 berichtet.

Erklärung zur Separatistenbewegung
Nach dem Ersten Weltkrieg gab es im Rheinland eine Separatistenbewegung. Unterschiedliche und teilweise gegensätzliche Kräfte versuchten, das Rheinland aus dem preußischen Staat zu lösen [zu separieren; herauszulösen]. Während der Revolution 1918/1919 scheiterte der Versuch, eine eigenständige Republik im Rheinland zu errichten. 1923 erhielt der rheinische Separatismus durch die Ruhrbesetzung französischer und belgischer Truppen beträchtlichen Aufschwung. Im Oktober 1923 riefen militante Separatisten in Aachen die unabhängige „Rheinische Republik“ aus, in Koblenz, Wiesbaden und Mainz wurden öffentliche Gebäude besetzt. Ähnliche Vorgänge fanden in der Pfalz statt.
http://www.lebensgeschichten.net/selcont3.asp?typ=L&value=1132


Laut Kreisblatt vom 11.2.1931 sagte er u.a.: „Jetzt erlebe man die schlimmste Zeit aus den beiden Jahrzehnten seiner Zugehörigkeit zum Gemeinderat. Über die Anfeindungen habe er sich anfangs aufgeregt und an seiner Gesundheit gelitten, jetzt ließen sie ihn kalt. Er wolle auch weiterhin sein bestes einsetzen für das Gemeindewohl“. Wurde sein 60. Geburtstag 1925 noch mit einer längeren Laudatio im Kreisblatt gewürdigt, so findet der 65. Geburtstag 1930 mit nur wenigen Zeilen durch die vom Bürgermeister ausgesprochenen Glückwünsche während der Gemeinderatssitzung Beachtung in der Zeitung. (Kreisblatt vom 25.7.1931)


Besondere Verdienste für Groß-Gerau hat sich Heinrich Hirsch als Vorsitzender des Groß-Gerauer Verkehrsvereins erworben. Dafür wurde er trotz der „schlimmen Zeiten“ am 15.9.1932 mit der Goethe-Plakette der Stadt Groß-Gerau geehrt. In seinem Dank, den das Kreisblatt ausführlich referiert, (Kreisblatt 16.9.1932) nach Laudatio durch den Bürgermeister und Überreichung der Plakette, nutzte Heinrich Hirsch die Gelegenheit, um „einmal vor der Öffentlichkeit zu erklären, warum er so viele Ämter übernommen habe.“ Er spricht offen über den Antisemitismus, den er seit seiner Jugend erfahren habe. Er habe sich vorgenommen, zu zeigen, „daß auch die Juden ihre Pflichten als deutsche Staatsbürger zu erfüllen wüßten.“

Im Bericht über die Vorstandssitzung des Verkehrsvereins am 9.2.1933, in dem eine großzügige Spende der Israelitischen Gemeinde zur Errichtung eines Ehrungsfonds für den Heimatforscher Diehl bekanntgegeben wird, erscheint der Name Heinrich Hirschs nicht mehr.


Neben den Aktivitäten von Heinrich Hirsch gerät die Israelitische Gemeinde im Untersuchungszeitraum nur einmal mit politischer Einflußnahme und deutlicher Artikulation als Gruppe in die Zeitung. Es geht dabei um den Standort des Ehrenmals für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, das die Stadt Groß-Gerau errichten wollte. Heißt es am 30.4.1925 noch, daß sich an der Vorbereitungskommission auch die „Geistlichen der drei Konfessionen" (!) beteiligen, so berichtet das Kreisblatt am 19.5. von einer Kontroverse um den Standort des Ehrenmals. Auf dem Tisch lag demnach der Vorschlag, dieses auf dem Friedhof zu errichten, was von den jüdischen Vertretern als nicht tragbar erklärt wurde. Zwischen Max Mayer vom „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten" auf der einen sowie dem evangelischen Pfarrer Scriba auf der anderen Seite muß sich eine heftige Auseinandersetzung abgespielt haben, die nur durch das beruhigende Eingreifen von Heinrich Hirsch nicht eskalierte, wenn man die blumig-verschleiernde Sprache des Kreisblatts richtig interpretiert. Die Standortfrage wurde dann noch zwei Jahre lang diskutiert, ehe sie auf Vorschlag des neuen Bürgermeisters und mit Unterstützung von Heinrich Hirsch als Ehrenhalle im Alten Rathaus beschlossen wurde. Israelitische Gemeinde und Reichsbundgruppe begrüßten und unterstützten im folgenden die Errichtung, auch finanziell, die Namen der jüdischen Gefallenen sind in der Ehrenhalle mit aufgeführt.


Die komplette Arbeit von 60 Seiten steht auf unserer Materialseite zum Download zur Verfügung.