Margarethenstraße 10
Hier wohnte | Alter
im Jahr 1933 |
Schicksal | Bemerkungen |
---|---|---|---|
Julius Rothschild geb. um 1868 gest. 1937 in Mainz |
ca. 65 | ??? | 1911 - 1933 Lehrer der jüd. Gemeinde GG und Vorgänger von Karl Hartogsohn; Am 27.11.1933 nach Mainz abgemeldet mit 3 Personen. |
Alberta-Dina Rothschild, geb. Salomon geb. 1.1.1871 gest. 3.5.1955 |
62 | 1939 Flucht nach New York | |
Ella, 1903-2005
Martha |
30 ? |
1934 Flucht nach Haifa |
Töchter und Söhne von Julius und Alberta; Kreisblatt GG 1982 über Karl: |
Eintrag im Adressbuch 1925:
Julius Rothschild war (wie Albert Mannheimer) auch Lehrer an der Realschule für Jungen (heute Goethe-Schule in der Goethestraße). Über dem Eingangsportal steht "Wissen ist Macht". Das Foto aus dem Jahr 1932 zeigt das Kollegium und in der Mitte Prälat Diehl. Möglicherweise ist auch Julius Rothschild auf dem Foto aus dem digitalen Bildarchiv des Stadtmuseums GG. |
Julius (Jehuda) Rothschild, geboren in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderets, Lehrer und Vorbeter, kam 1910/11 in die jüdische Gemeinde Gross-Gerau. Er stammt wahrscheinlich aus Reichelsheim im Odenwald. Dort sucht er 1901 in der Zeitschrift Der Israelit per Anzeige nach einem fleißigen Mädchen, das in einem kleinen Haushalt und in der Küche bewandert ist, für 15 Mark im Monat. 1904 liegen bei ihm in Reichelsheim die Ausschreibungen für die Instandhaltungsarbeiten der dortigen Synagoge zur Einsicht aus. Verheiratet war er mit Albertina-Dina, geb. Salomon, geb. 1. 1. 1871. Ihr gelang 1939 die Flucht auf einem der letzten Schiffe mit dem Ziel New York. Sie hatte anfänglich vor zu ihrem Sohn Karl zu ziehen, entschied sich aber für den Rest ihres Lebens, in New York allein zu bleiben. Dort starb sie im Alter von 84 Jahren am 3. 5. 1955. Sie überlebte ihren Mann Julius durch Flucht, während dieser 1937 in Mainz starb. Aus dieser Ehe gingen Ella, Martha, Karl, Adolf und Richard Rothschild hervor, von denen nicht alle 1933 mit nach Mainz zogen. Am meisten wissen wir über Tochter Ella Rothschild, geboren 1903 und verheiratet mit Jakob (Yakov) Stiel (Sandal), den sie in Giessen kennenlernte, nachdem sie an der TH Darmstadt ein Studium aufgenommen hatte und sicher abbrechen musste. Zusammen mit Jakob Stiel, geboren 1906 in Giessen als Sohn des Wilhelm „William“, „Wolf“ Stiel und der Regina Kalfus, wanderte sie 1934 nach Haifa aus. Dort starb ihr Mann 1993, 87 Jahre alt, und sie 2005 im Alter von 101 Jahren. Wie ein Sohn berichtet, änderten 1950 seine Eltern ihren Namen von Stiel in Shaftil, so dass die Söhne Rafi und Wolf diesen Namen trugen. Die Großeltern von Jacob Stiel trugen noch die Zwangsnamen Zwetschkenstiel (Großvater) und Aufenkraut (Großmutter). Im Mainzer Stadtarchiv sind Dokumente der Familie Ella Rothschild / Zwetschkenstiel / Stiel aus Haifa, geb. 19. 11. 1903 in Reichelsheim archiviert (unter ZGS /E2, 48, Geburts- und Heiratsurkunden, Briefe 1937-1939, u. a. auch die Todesanzeige des Vaters Julius). Der in Groß-Gerau 1911 bis 1933 angestellte Lehrer hatte die religiösen Aufgaben in der Gemeinde mit ihrer Synagoge, Religionsschule, ihrem rituellen Bad und ihrem Friedhof zu besorgen. Der Lehrer war zugleich als Vorbeter, Synagogenvorsänger und Schochet (ritueller Schlachter) tätig. Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte die Gemeinde dem liberalen Rabbinat Darmstadt I an, doch wurden die Gottesdienste nach orthodoxem Ritus abgehalten. Um 1925 vereinte die Gemeinde etwa 200 Personen (3,3 % von ca. 6.000 Einwohnern), im Gemeindevorstand saßen Adolf Oppenheimer, Heinrich Hirsch und Jacob Gottschall. Als Kantor und Lehrer diente Julius Rothschild auch im Religionsunterricht, den er auch an der Realschule für Jungen erteilte. Julius Rothschild erscheint zum letzten Mal im Jahresbericht mit seinem Stundenplan für das Schuljahr 1932/33. Sein Ausscheiden wird nicht eigens erwähnt. Er könnte also auf dem Foto abgelichtet sein, das vor dem Schulportal unter der Aufschrift „Wissen ist Macht“ mit dem späteren Namensgeber Schule, Prälat-Diehl, aus dem Jahr 1932 vorhanden ist. Nach 1933 ist ein Großteil der jüdischen Gemeindeglieder (1933: 167 Personen) auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen, beziehungsweise ausgewandert: Dazu gehörte auch Julius Rothschild; die Meldeliste belegt seine Abmeldung mit 3 Personen am 27. 11. 1933 nach Mainz. Um 1924, als zur Gemeinde Mörfelden 40 Personen gehörten, unterrichtete Julius Rothschild aus Groß-Gerau die damals drei schulpflichtigen jüdischen Kinder in Religion. Auch der Schochet der Mörfelder Gemeinde Jacob Gottschall kam aus Groß-Gerau. Ebenfalls um 1924, als zur Gemeinde Kelsterbach noch 46 Personen gehörten, erteilte Julius Rothschild aus Groß-Gerau den Religionsunterricht für die schulpflichtigen jüdischen Kinder der Gemeinde. Im Schuljahr 1931/32 gab es noch fünf jüdische schulpflichtige Kinder, die Religionsunterricht erhielten. Rothschild gehörte dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten an und hielt in Rüsselsheim 1929 eine Dankesrede anlässlich der Renovierung der dortigen Synagoge. Wer in Groß-Gerau Lehrer und Vorbeter war, hatte damals ein weites Betätigungsfeld. Wie könnte es in der Schule auch anders sein? Eine Schülerin erinnert sich, dass es bei Rothschild bisweilen drunter und drüber gegangen sei; so sei man, die Flucht ergreifend, aus dem Fenster ins Freie geklettert und der Lehrer in seiner Erregung habe sein Gebiss verloren. Julius Rothschild war in der Kette der jüdischen Lehrer in Groß-Gerau auf Josef Israel (seit 1879) und Seligman Hofmann (1904) – lt. Diehl – 1910 gefolgt. Nachfolger und letzter jüdischer Lehrer der Gemeinde war von 1933 bis 1936 Karl Hartogsohn (geb. 1905 in Emden) und nach der Deportation zusammen mit seiner Frau ermordet. |