Gernsheimer Straße 13 (damals Nr. 27)
Das heutige Haus ist ein Nachfolgebau.
Hier wohnte | Alter
im Jahr 1933 |
Schicksal | Bemerkungen |
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Dr. Albert Mannheimer wohnhaft zunächst in Bad Wimpfen und nach seinem Weggang aus Groß-Gerau in Darmstadt; nach dem Krieg wohnhaft in Bensheim und Heppenheim, zuletzt in Darmstadt |
46 | Flucht nach Holland |
Stadtrat der SPD; 1925-1926 für die SPD im Kreisausschuss GG (siehe unten); seit 17.09.1919 Oberlehrer an der Realschule für Jungen zu Groß-Gerau, seit 10.10.1929 Studienrat an der Ludwigs-Oberrealschule in Darmstadt; 1.07.1933 Dienstentlassung Sein Bruder, Dr. Eugen Mannheimer, war in den 30er Jahren Oberstudienrat an der Jüd. Bezirksschule in Mainz. Näheres zu Eugen M. hier auf den Seiten 68 und 70. |
Maria Mannheimer, geborene Parth geb. 4.4.1896 Innsbruck |
37 | ??? | Ehefrau |
Peter Mannheimer geb. 1.8.1926 |
7 | nach 1945 in Darmstadt | Sohn |
Herta Mannheimer geb. 6.5.1891 |
42 | ermordet in Sobibor am 10.9.1943 |
...“ich habe vor bald auch Englisch zu lernen. Meinst Du bei Herrn Dr. Mannheimer? ...Sei für heute recht herzlichst gegrüsst und geküsst von Deiner Schwester Hede“. So schreibt Schwester Hede Marx, vom Sandböhl Gross-Gerau an ihren gerade erst nach Chicago emigrierten Bruder Martin am 23. 7. 1936 – noch voller Hoffnung, wie nützlich Englischkenntnisse sein werden, wenn sie und ihre Familie ebenfalls in den USA leben werden. Schon zögerlicher am 12. 6. 1936: Und dann der Brief Hedes vom 19. 8. 1938; bei ihm dürfte außer dem Vater der Englischlehrer Dr. Albert Mannheimer mitgeholfen haben! Wer war dieser Dr. Mannheimer, der augenscheinlich der ganzen Familie Marx zu Kenntnissen im Englischen verholfen hat? Nur die Verwandten aus der Frankfurter Straße 22, die Onkel und Tanten und Cousinen im Haushalt Salomon Marx, konnten diese freilich nutzen; die Hoffnungen aber für Hede, ihren Vater Emil und die Haushälterin Frau Kossmann erfüllten sich nicht, da sie deportiert und ermordet wurden. Laut Personalakten im HStA Darmstadt war der am 8. 4. 1887 in Bad Wimpfen geborene Albert Mannheimer an der Hohenstaufen Schule in Bad Wimpfen Lehramtsreferendar und Lehramtsassessor und unterrichtete 1919 zehn Jahre lang als Oberlehrer bzw. Studienrat an der Realschule in Groß-Gerau, 1929 ff. war er als Studienrat und späterer Oberstudienrat an der Ludwigs-Oberrealschule in Darmstadt tätig. Zum Ende des Jahres 1933 wurde er ein Opfer des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Er wurde als Jude aus dem Dienst entlassen und erhielt Berufsverbvot. Die Statusmerkmale seiner Integration in die bürgerliche Gesellschaft galten danach nichts mehr: Weder die Promotion; noch die Beamtenlaufbahn als Lehrer; noch die frühere Funktion des SPD-Mitglieds als Stadtrat in Gross-Gerau; noch, dass er 1925-1926 Mitglied des Kreisausschusses war. Wie er sich in der Folgezeit über Wasser hielt, geht aus den oben genannten Briefen der Familie Marx hervor: Er erteilte Privatstunden. In seiner Gerauer Zeit wohnte er in der Gernsheimer Straße zur Miete. Mannheimer unterrichtete die Fächer Französisch, Deutsch, Englisch und Geschichte und leitete die Lehrerbibliothek. Er war schon seit Referendarzeiten Mitarbeiter am Literaturblatt. In den Jahresberichten der Realschule Gross-Gerau wird Albert Mannheimer mehrfach im Rahmen des Stundenplans und auch mit besonderen Aktivitäten erwähnt. „Im Herbst 1924 erhielt er Urlaub vom 8. 9. bis 19. 10. 1924 (Einschließlich 14 Tagen Herbstferien) zu einer Studienreise nach England.“ (Jahresbericht 1924/25). Er hielt die Rede zur Verfassungsfeier, die jährlich während der Weimarer Republik sei 1921 am 11. August begangen wurde. „Auch 1925 war er ohne Angabe des Grundes vom 12.-17. Oktober beurlaubt. Der Recherche Bernd Wetzkas vom Hohenstaufengymnasium in Bad Wimpfen verdanken wir die folgende Quelle aus der Dissertation Mannheimers: Lebenslauf aus der Dissertation Albert Mannheimers, Über die Quellen zu Hauffs „Jud Süß“: Gießen 1909 S. 83f. Bernd Wetzka aktualisierte 2017 die Recherchen über die Mannheimers wie folgt: Albert Mannheimer wird am 8.4. 1887 als Sohn des Max Mannheimer und seiner Ehefrau Sophie, geb. Levi, in Wimpfen geboren. Sein Vater gehört in Wimpfen zu den Gründern der linksliberalen DDP (Deutsche Demokratische Partei). Albert Mannheimer ist von 1895 – 1903 Schüler der Wimpfener Realschule, d.h. der Vorgängerin des jetzigen Hohenstaufengymnasiums. Nach dem Abitur studiert er u. a. in Leipzig Neue Sprachen (Deutsch, Französisch und Englisch). Er promoviert 1908 über „Die Quellen zu Hauffs ‚Jud Süss’ “. Im Schuljahr 1912/13 ist er der Wimpfener Realschule als Lehramtsassessor zugewiesen. [Sein Schwager] Siegfried Jacob ist im gleichen Jahr auch hier als Lehramtsassessor. Vermutlich lernt Siegfried Jacob hier über Albert Mannheimer dessen Schwester Josephine kennen. Siegfried Jacob und Josephine Mannheimer heiraten später. Siegfried Jacob ist in Wimpfen u. a. auch für die Denkmalpflege tätig und hält einen Vortrag über „Wimpfen und die Hohenstaufen“, der dem Jahresbericht der Schule für das Jahr 1912/13 als Sonderdruck beiliegt. Albert Mannheimer ist von 1919 – 1929 als Lehrer in Groß-Gerau tätig. Seit 1929 lebt er In Darmstadt. Er ist mit einer Österreicherin verheiratet und zum Katholizismus konvertiert. Aufgrund des so genannten Arierparagraphen wird er aus dem Hessischen Staatsdienst entlassen. Am 9.11.1938 wird er verhaftet. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 begehen sein Bruder Eugen und dessen Frau Selbstmord aufgrund der Ereignisse während des Pogroms. Albert Mannheimer ist vom 10.11.1938 bis 2.12.1938 im Konzentrationslager Buchenwald in Haft. Vor den Nazis flüchtet er im Februar 1939 ins holländische Exil. Er lebt dort zuerst in einem Flüchtlingslager, dann in einem Privatquartier. Eine Auswanderung in die USA scheitert. 1941 wird ihm die Staatsangehörigkeit aberkannt. Von Januar bis Dezember 1944 muss er Zwangsarbeit verrichten. Von 1946 – 1949 lebt er in Innsbruck. Sein Sohn Peter musste 1942 als „Mischling ersten Grades“ das Gymnasium in Darmstadt verlassen. Frau und Sohn ziehen 1942 zu den Brüdern von Frau Mannheimer nach Innsbruck. Nach Kriegsende konnte Albert Mannheimer wieder zu seiner Familie in Tirol.1944 wird der Sohn zu den Panzerjägern eingezogen, aber als „Mischling“ noch während des Krieges wieder entlassen.1949 - 50 lebt er in Bensheim und ist wieder im Schuldienst. Seit 1955 wohnen sie in Heppenheim und bis zu seinem Tod am 11. 11. 1969 in Darmstadt. Er veranlasst auch, dass für die Geschwister Mannheimer ein Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Bad Wimpfen aufgestellt wird. Siegfried Jacob unterrichtet seit 1920 am Real-Gymnasium in Darmstadt. Vor März 1935 wird er ebenfalls in den Ruhestand versetzt. Er ist dann als Lehrer an der Jüdischen Bezirksschule in Darmstadt tätig. Wahrscheinlich im Jahr 1939 gelingt ihm und seiner Frau Josephine die Auswanderung nach England. Später lebt das Ehepaar in Ohio. Siegfried Jacob muss vor dem 15.7.1961 gestorben sein, da Josephine Jacob sich in einem Brief als Witwe bezeichnet. Sie stirbt am 10.Oktober 1976 in Ohio. „Wir sprachen für manchen das Sterbegebet“ Auf Tafeln präsentieren Schüler des Hohenstaufen-Gymnasiums und ihr Lehrer Bernd Wetzka die Geschichte jüdischer Bürger. Bad Wimpfen - „Wir sehen die Häuserfassaden in Bad Wimpfens Altstadt jetzt mit anderen Augen“, bekennen sich Marie Jenne, Tobias Bartole, Beatrice Kutterer und Elena Arpogaus. Die Schüler der Klassen 12 und 13 des Hohenstaufen-Gymnasiums haben diese Erkenntnis bei einem Projekt gewonnen, das jüdische Familien und ihre Schicksale zum Inhalt hatte. Einmal in der Woche haben sich die Vier getroffen und sich ausgetauscht. Archive in Ludwigsburg, Heilbronn und Darmstadt suchten sie auf und arbeiteten sich durch Stapel von Akten. Zeitzeugen gibt es immer weniger. Manche wollen auch gar nicht über ihre Erlebnisse reden, stellten die jungen Leute fest. Anders Otto Maisenhälder und Walter Knell, bei denen die Schüler Unterstützung fanden. In ihrem Lehrer Bernd Wetzka haben sie einen Experten, der die Geschichte Wimpfens kennt. Bis nach Amerika reichten die Kontakte. So nahmen die Vier telefonische Verbindung zu Hannelore Marx in New York auf, die dorthin emigrierte, über ihr Leben sogar ein Buch schrieb und den Schülern gern Auskünfte gab. Berührt wird man von der „Kleinen Dachauer Passion“, die Leopold Marx über den Wimpfener Juden Simon Baer schrieb, tatsächlich hieß er Adolf Baer, die das Lagerleben Dachaus beschreibt: „Wir sprachen für manchen das Sterbegebet, doch nur einer trug nach ihm Begehr. Von Wimpfen am Neckar - vergesset ihn nicht, wenn ihr zeugen sollt vor dem Letzten Gericht - den alten Simon Baer.“ Tafeln dokumentieren die Schicksale von Hedwig Baer und von Simon und Lina Strauß, die in Wimpfen ein Textilgeschäft betrieben und in der Reichskristallnacht überfallen wurden. Eine besondere Beziehung besteht zu Albert Mannheimer, der die damalige Realschule besuchte und das KZ Sobibor überlebte. 1969 starb Mannheimer in Darmstadt. Einer Mitteilung von StD U. Stein, PDS Gross-Gerau 29.3.17 , der die Entschädigungsakte im HHStAW eingesehen hat, entnehmen wir: „Albert Mannheimer war offenkundig nicht in Westerbork, sondern nach der Haft in Buchenwald (Inhaftierung nach den Reichspogromtagen 1938) Emigrant in den Niederlanden. Dem Transsport nach Auschwitz (von Westerbork aus? Sc. Zg) ist er nur durch einen Glücksfall entkommen.“ Solche Widersprüche erlauben einen Hinweis auf die methodischen Schwierigkeiten im Umgang mit den Deportationen und den Folgen für die Opfer der Shoa: Slachtoffer van de oorlog https://oorlogsgravenstichting.nl/persoon/99214/albert-mannheimer Was passierte nach 1945? „Albert Mannheimer hat seine Frau in Innsbruck wieder getroffen. Sie sind dann zurück nach Hessen...mit ihrem Sohn, der als Halbjude vom LGG in Darmstadt verwiesen worden war. In Darmstadt hat er keine Ausbildungsstelle gefunden, wohl aber in Innsbruck, als Druck ist.“ Mannheimers Frau war infolge der traumatischen Erfahrungen schwer herzkrank......“ Nicht vergessen werden soll, dass Eugen, der Bruder Albert Mannheimers am Jüdischen Bezirksgymnasium in Mainz tätig war und sich zusammen mit seiner Frau verfolgungsbedingt im November 1938 das Leben nahm. Aus der Dissertation Eugen Mannheimers, Gießen 1904 Lebenslauf Eugen Mannheimers: In Bad Wimpfen gibt es eine Gedenktafel u.a. für Albert Mannheimer. Das macht es wahrscheinlich, dass die folgende Anzeige im Aufbau, die sich auf eine verstorbene deutsche Jüdin in Bad Wimpfen bezieht, auch von unserem Dr. Albert Mannheimer gezeichnet wurde, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt in Bensheim lebte.
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Stammbaum der Familie Mannheimer, zusammengestellt von Bernd Wetzka. |
Unten: Die 1902/1904 erbaute Realschule (heute Goethe-Schule in der Goethestraße). Über dem Eingangsportal steht "Wissen ist Macht". Der Erker unten trägt die Inschrift "Zur Ehre Gottes und der Jugend zum Heile 1902". |
1922 ging die SPD eine Listenverbindung mit der KPD ein, um eine bürgerliche Gemeinderatsmehrheit zu verhindern. Einer der 6 SPD Abgeordneten war Albert Mannheimer. Quelle: 40 Jahre Nachkriegs-SPD 1945-1985; Festschrift des Ortsvereins Groß-Gerau. |
Brief von Hede Marx an ihren Bruder Martin in den USA vom 19.8.1938:
Gedenktafel in Bad Wimpfen am Haus Schwibbogengasse 5 (Foto: Gerhard Niedek):