Frankfurter Straße 19 (früher 21)

Hier wohnte Alter im
Jahr 1933
Schicksal Bemerkungen
Ludwig Marxsohn
geb. 18.9.1870
gest. 17.3.1945
63 Flucht am 14.3.1939 nach Jerusalem

Mitbesitzer der Union Brauerei;
verh. mit Lina;
Bruder von Ferdinand Marxsohn, wohnhaft im linken Nachbarhaus Nr. 21
8.9.1936 unfreiwillig verzogen nach FFM, Mendelssohnstr. 57

Lina Marxsohn
geb. Schlössinger
geb. 16.12.1882 Heidelberg
gest. 20.3.1963 NY
51 Flucht nach Palästina; später New York

Ehefrau von Ludwig; wanderte 7 Jahre nach dem Tod von Ludwig 1952 in die USA aus

Walter Marxsohn
geb. 13.12.1904 GG
gest. 23.3.1953
29 Flucht nach Palästina; später New York

Sohn von Ludwig und Lina;
Heirat in Jerusalem am 15.10.1940 mit Ellen Wohlgemuth, geb. 1906

Trude Marxsohn
geb. 27.6.1910 GG
23 Flucht 1937 nach New York

Tochter von Ludwig und Lina; Heirat mit Bruno Lilienfeld, geb. 1901

Zur Genealogie der Marxsohn-Familie

Historische Fotogalerie Marxsohn

Recherchen ergaben folgende Informationen über die Menschen und die Häuser, in denen sie wohnten:

Gebäude der Union Brauerei in der Frankfurter Straße;
darunter : Anzeige aus dem Jahr 1927

 

In „Deutschland, jüdisch Heimatland“ gingen die Autoren Michael Wolffsohn und Thomas Brechenmacher 2008, gestützt auf einen Datensatz von 200.000 Personen des Bundesarchivs, der Frage nach, welche Vornamen deutsche Juden ihren Kindern gaben. Ergebnis: Zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“ gaben immer mehr jüdische Eltern ihren Kindern Vornamen der deutsch-christlichen Mehrheitsbevölkerung und wandten sich insoweit von ihrer jüdischen Identität ab. Der häufigste männliche Name war Max, bald gefolgt vom urdeutschen Siegfried, der auch in Groß-Gerau bei den Familien Blatt, Bodenheimer, Dahlerbruch, Guthmann, Oppenheimer, Kahn, Kiefer, Marx und Schott begegnet. Und auch Ferdinand und Ludwig Marxsohn stehen für die daraus mentalitätsgeschichtlich sichtbare Akkulturation und Assimilation.

Der zweite Spross der alt eingesessenen Bier-Brauerfamilie ist Ludwig Marxsohn, geb. am 18. 9. 1870 in Groß-Gerau. Er konnte sein Leben durch Emigration retten. In der Zeitschrift „Aufbau“ ist zum 30.3. 1945 zu lesen, dass Ludwig im Alter von 74 am 17. 3. 1945, also kurz vor Kriegsende in Jerusalem starb. Es trauerten um ihn seine Ehefrau Lina, geb. Schlössinger, sein Sohn Walter Marxsohn und dessen Frau Ellen, geb. Wohlgemuth sowie Bruno Lilienfeld und dessen Ehefrau Trude, geb. Marxsohn. Die Eltern Ludwigs waren Lazarus Marxsohn und Rosalie, geb. Adler.

Todesanzeige im "Aufbau" vom 30.3.1945

Ludwig war 26 Jahre alt, als die alte Brauerei als „Unionbrauerei“ am 22. 12. 1896 gegründet wurde. Seine Familie lebte in der Frankfurter Straße 21, wo auch die Kinder geboren wurden: Sohn Walter am 13. 12. 1904 und die Tochter Trude, am 27. 6. 1910. Im Jahre 1911 lebten demnach vier Personen in dem großbürgerlichen Haushalt des Fabrikanten, der im Jahre 1939 im Adressbuch und in der Realität nicht mehr existierte. Den Lebensstil der Familie Marxsohn charakterisiert auch ihre Hausangestellte Gerdi Silber, 1914 in Seeheim geboren, die im Alter von 22 Jahren 1936 mit dem Ziel USA auswanderte wie später auch ihre Herrschaft (Staatsarchiv Darmstadt, G 15 Groß-Gerau Q 648).

Laut Devisenakte vom 26. 1. 1939 hatte sich Ludwig einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung zu stellen. Nach Tilgung der Steuerschuld und Zahlung der Strafe blieben nur noch die zur Auswanderung nötigen Mittel. Am 9. 3. 1939 ergeht Sicherungsanordnung nach § 37a des Devisengesetzes. Der monatliche Beitrag zur Lebenshaltung wird auf 800 RM festgesetzt. Eine Vermögensaufstellung zum 1. 1. 1935 weist 283.157 RM aus; die Schulden belaufen sich auf 32.655 RM; am 17. 2. 1939 sind lediglich noch 12.937, 90 RM vorhanden; die Verschuldung liegt bei 9532,30 RM.

Ludwig zog zwangsweise bereits am 8. 9. 1936 nach Frankfurt a. M. in die Mendelsohnstr. 57 um. Nach dem 14. 3. 1939 blieb ihm, um sein und seiner Familie Leben zu retten, nur die Emigration. Er zog nach Palästina, dort starb er am 17. 3. 1945 in Jerusalem, sein Grab liegt auf dem Ölberg. Sein Wunschexil, die USA, hat er nicht mehr erreicht.

Lina, seine Ehefrau, begleitete ihn von der Frankfurter Straße 21 über die Mendelsohnstraße 57 und in die Emigration. Als Witwe muss ihr die weitere Emigration noch gelungen sein, denn sie wird in der Rückerstattungssache von New York aus tätig. Während des Ersten Weltkriegs war sie am 6. 7. 1917 mit dem Hessischen Ehrenzeichen für Kriegsfürsorge ausgezeichnet worden.

Der gemeinsame Sohn Walter, Kaufmann, geb. am 12. 12. 1904 in Groß-Gerau begleitete seine Eltern auf dem Weg über Palästina in die USA. Er ist mit Ellen, geb. Wohlgemuth, verheiratet. Zusammen mit seiner Mutter Lina und seiner Schwester Trude setzt er sich im Rückerstattungsverfahren in der Erbnachfolge nach Ludwig im Jahre 1949 ff. ein. Er stirbt am 23. 3. 1953 in New York.

Es ist eindrucksvoll zu lesen, wie akribisch die Umzugslisten der Familie Ludwig Marxsohn vom 15. 2. 1939 geführt werden mussten: Silberliste, Bücherliste, Fachbücher zur Brauindustrie, Bilder im Gesamtwert von 2872,30 RM. Am 10. 7. 1939 müssen 1700 RM an die Deutsche Golddiskontbank Berlin entrichtet werden. Am 20 5. 1939 bestehen keine Bedenken mehr gegen die Ausfuhr des Umzugsguts; am 21. 7. 1939 wird das Verfahren eingestellt. Alle Auflagen waren erfüllt. Die erzwungene Flucht in die Freiheit konnte beginnen. Eine Rückfrage am 6.9. 1940 holt sie nicht mehr ein: Ob sich die Anschrift Haydnstraße Frankfurt geändert habe?

Wie mühsam war die Vorgeschichte? Der Erlös aus allen Immobilienverkäufen musste im Januar 1938 auf ein Sperrkonto gebucht werden. Am 5. 1. 1938 gibt die Devisenstelle wegen eines Sanatoriumaufenhaltes für Walter Marxsohn in Davos 950 RM frei. Eine Kontroverse im Januar 1938 darüber, ob Walter in Davos devisenrechtlich als In- oder Ausländer zu behandeln sei, ist abzuwarten: Er stellt sich devisenrechtlich als Ausländer heraus. Es geht um den Rücktransfer seiner Lebensversicherung.

Das Rückerstattungsverfahren 1949 und in den Folgejahren wird von Ehefrau Lina, den Kindern Walter und Trude Lilienfeld und Bruno Lilienfeld, ihrem Ehemann, betrieben. Es geht um die Auseinandersetzung mit Willy Kaus u. a., die die Union-Brauerei 1936 erworben hatten.

Zur Unionbrauerei Groß-Gerau gibt es einen Eintrag in Wikipedia.

Einbürgerungsurkunde von Lina Marx in die USA, 1952:

Heiratsurkunde Walter Marxsohn Jerusalem, 15.10.1940: