Darmstädter Straße 10 / Ecke Sandböhl
Historische Fotogalerie Familie Kahn
Historische Fotogalerie Julius, Frieda und Karl Kahn
Historische Fotogalerie Leopold und Johanna Kahn
Stolpersteinverlegung am 16. November 2012
Familie Kahn im Stolpersteine-Guide
Stadtrundgang am 17. November 2012
10 MinutenFilm "Gedenken an die Juden in Groß-Gerau" anlässlich der Stolpersteinverlegung
Flyer
Recherchen ergaben folgende Informationen über die Menschen und die Häuser, in denen sie wohnten:
Für die alteingesessene Familie Kahn in und aus Worfelden ist ein stattlicher Stammbaum rekonstruiert worden (Schleindl, Verschwundene Nachbarn, 1990 S. 96.) In Groß-Gerau spielt sie vor allem in der Mittelstraße 2 und in der Darmstädter Straße / Sandböhl (Kaufhaus) eine Rolle. Aus der Ehe von Moses, geb. 1856, und Berta, geb. 1862, die 1885 geschlossen wurde, gingen Siegmund (1886), Gustav (1887-1957), Albert (1891, 1918 bei Saarlouis gefallen) und Leopold Kahn (1889) hervor. Moses findet sich im Groß-Gerauer Adressbuch 1926 als Privatier in der Darmstädter Straße 12 verzeichnet. Sein Sohn Leopold heiratete die 1895 geborene Johanna. Er und Johanna sind die Inhaber des Kaufhauses Ecke Darmstädter Straße / Sandböhl; sie kamen im Konzentrationslager Theresienstadt um. 1943 enden die Botschaften, die sie von dort an ihre Verwandten schicken. Ihr Sohn Jakob starb im Jahr seiner Geburt 1920. Moses, deren Vater bzw. Schwiegervater hatte noch drei Brüder: 1. Jakob II. (1851-1916); er war mit Settchen Flörsheimer verheiratet, die von 1864-1940 lebte; mit ihr hatte er die Kinder Theresia (geb. 1882), Isidor (geb. 1886) und Julius (1884-1949). 2. Max (geb. 1861), verheiratet mit Röschen Oppenheimer. Ihre Kinder hießen Siegfried (geb. 1889), Ludwig (1892-1942, Dachau), Simon (geb. 1891) und Frieda (geb. 1898 ?). Frieda heiratet Siegmund Westerfeld in Stockstadt, die Eheleute wurden nach Polen deportiert und nur deren Töchter konnten sich durch Flucht retten. 3. Leopold (geb. 1863) heiratet Berta Mayer; aus dieser Ehe gehen die Kinder Siegfried (geb. 1894), Julius (geb. 1895), Toni (geb. 1897), Karl (geb. 1899) und Betty (geb. 1902) hervor. Leopold Kahn, geb. am 12. 6. 1889 in Worfelden ist zwischen den Volkszählungen von 1912 und 1926 nach Groß-Gerau zugezogen. Er zieht am 15. 11. 1937 verfolgungsbedingt nach Frankfurt a. M. in die Bockenheimer Landstraße 91. Vom 10. 11. bis Ende November 1938 wird er nach Buchenwald deportiert und gehört zu den Groß-Gerauer männlichen Juden, die nach der Pogromnacht zeitweise inhaftiert werden. Seine Devisenakte im Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden belegt, dass er am .9. 4. 1940 66,40 RM als Krankenpfleger in Frankfurt im Krankenhaus in der Gagernstraße 36 verdient und nur ein begrenzt verfügbares Sicherungskonto mit einem Freibetrag von monatlich 570 RM besitzt. Er beabsichtigt, mit seiner Familie nach Chicago auszuwandern; zieht innerhalb Frankfurts am 9.9. 1941 in die Schumannstraße 51 um; Leopold Kahn hat Judenvermögensabgabe und „Reichsfluchtsteuer“ zu entrichten; am 23. 4. 1942 ersucht die Devisenstelle Leopold Kahn um Auskunft über seinen gegenwärtigen Ausgabenstand. Seine Antwort am 29. 4. 1942 lautet: 265 RM; am 4. 5. 1942 wird ein Freibetrag von 170 RM monatlich festgesetzt. Die Schlinge erscheint am 2. 10. 1942 zugezogen: Leopold Kahn und seine Ehefrau Johanna, geb. Kahn (geb. am 13. 6. 1895 in Worfelden) sind von der Verfügung auf Grund der Gestapolisten „evakuierter Juden“ betroffen. „Evakuiert“, das bedeutet Deportation im Rahmen des nationalsozialistischen Vernichtungsprogrammes. Ihr Vermögen Kahn wird eingezogen. Die Sicherungsanordnung wird als „erledigt“ vermerkt: „Akte weglegen“; abschließend ein Verzeichnis erteilter Genehmigungen. Es ist die achte große Deportation von der Großmarkthalle in Frankfurt, bei der am 1. 9. 1942 Leopold und Johanna nach Theresienstadt ins Ghetto verschleppt werden. Am 1. 10. 1944 sollen sie nach Auschwitz ins Vernichtungslager deportiert worden sein unter den Transportnummern EM-671 und EO-1328. Dort sind sie im Alter von 55 und 49 Jahren verschollen. In die Erbfolge sind eingetreten der Bruder Leopolds, Gustav Kahn (1887-1957), wenn sie überlebt hätten, die Tochter Terese, die 1941 starb, der Enkel Hartwig Kahn, der zum 8. 5. 1945 für tot erkannt wurde. Rückerstattungsansprüche melden an: Dr. Fritz Kahn und Bina Lambert, geb. Kahn. Das Grundbuch Groß-Gerau enthält eine Forderung auf Julius und Leopold Kahn aus ihrer Warenlieferung über 650 Goldmark vom 4. 5. 1932 gegen die Eheleute Heinrich Daniel Feldmann und Elisabeth, geb. Hansel, aus Dornheim. Die 650 GM zu Gunsten der beiden Vettern als Geschäftsführer des Kaufhaufes J. und L. Kahn OHG lasten auf der Flur X Nr. 143, 625 qm (XIII Nr. 565 1/10 sowie XIII Nr. 565 4/10) in Dornheim. J. und L. Kahn versichern als frühere Besitzer der OHG Kahn in Groß-Gerau eidesstattlich, dass die „Forderung und Hypothek vielmehr noch uns den Unterzeichneten, als den früheren Inhabern der genannten OHG“ zusteht und noch 183, 79 RM beträgt. So geschehen in Frankfurt am 21. 2. 1941 als Julius „Israel“ Kahn dort in der Lehrbachstraße 112 und Leopold „Israel“ Kahn in der Bockenheimer Landstraße 91 unterschreiben. Sicher wollten sie die Löschungsbewilligung nicht erteilen. Der eine sollte das „Dritte Reich“ überleben, der andere nicht. Anders erging es der Familie Julius Kahn (11. 2. 1884 – 9. 5. 1949), dem zweiten Kaufmann im Kaufhaus Darmstädter Straße 12 und dem Bruder von Johanna, und seiner Ehefrau Frieda, geb. Flörsheimer (3. 2. 1891). Beide ziehen verfolgungsbedingt am 23. 2. 1938 nach Frankfurt a. M. in die Lersnerstraße 4 um. Spuren der Geschichte des Kaufhauses finden sich im Hessischen Staatsarchiv Wiesbaden seit 1920 (Umzug von Worfelden nach Groß-Gerau), als Moses Kahn seinem Sohn Leopold das Ladengeschäft übergab). Von beiden Eheleuten finden wir ein Foto von ihrer Überfahrt in die USA (s. Schleindl. Verschwundene Nachbarn, S. 153). Aus der Wiesbadener Entschädigungsakte (HH STAWI 13654 N) von Frieda Kahn, geb. Flörsheimer, geb. 3. 2. 1891, zuletzt Lersnerstr. 4 Frankfurt a. M. mit Erbschein nach ihrem Ehemann Julius Kahn, geb. 11. 2. 1884 und gest. 9. 5. 1949, lassen sich u. a. auch Sachverhalte vor der Auswanderung ermitteln: Julius Kahn war wegen Kriegsbeschädigung beschäftigungslos. Berichtet wird folgender Hergang: Gegenstände aus dem Eigentum der Familie wurden von der Gestapo 1938 aus der Lersnerstr. 4 in Frankfurt abgeholt; das Silber wurde für 1250,00 RM in der Gallusstraße abgeliefert. Frieda Kahn weist eidesstattlich nach, dass sie Wertsachen in der Gallusstraße abgab, die versteigert wurden und legt Erklärungen mehrerer Chicagoer Auswanderer bei. Die Klage gegen das Deutsche Reich vom 5. 2. 1960 bewirkt eine Entschädigung von 1250 DM für Schmuck, 200 DM für ein Fernglas und 150 DM für ein Radio. Am 30. 11. 1939 erging Sicherungsanordnung, nachlesbar in den Devisenakten von Julius Kahn, geb. 11. 2. 1884 in Worfelden, zuletzt Lersnerstraße Frankfurt a. M., und Frieda Kahn, geb. Flörsheimer, geb. 3. 2. 1891 bezüglich eines „beschränkt verfügbaren Kontos“. Zum 1. 11. 1940 erging Reichsfluchtsteuerbescheid: Auf ein Vermögen von 81.751 RM im Jahre 1935 und auf ein Vermögen von 21.812 RM im Jahre 1940; daraus folgen bis zum 10. 11. 1940 Zahlungen von 25% = 6953 RM Reichsfluchtsteuer. Julius Kahn gibt am 1. 11. 1940 an, bis zum 10. 11. 1940 nach Shanghai, China auszuwandern. Am 13. 5. 1941 beantragt er einen Freibetrag aus dem Sicherungskonto für seinen Vetter Heinrich Hirsch Frankfurt a. M. Weberstr. 7 über 150 RM; am 11. 6. 1941 teilt die Deutsche Bank der Devisenstelle die Auswanderung nach USA mit; am 14. 6. 1941 wird die Sicherungsanordnung aufgehoben, das Verfahren eingestellt, ein Verzeichnis der genehmigten Freibeträge liegt bei. Am 26. 11. 1942 soll der neue Wohnsitz mitgeteilt werden. Die Rückerstattungsverfahren 1947 ff. sind langwierig. Noch 1960 werden die Akten gesichtet. Über die Zeit vor der Auswanderung, berichtet die Devisenakte 519 203 wie folgt: Zum 21. 4. 1941 sind neue Umzugsgutlisten, die auch alle Details der Leibwäsche enthalten müssen, vorzulegen. Aufgelisteter „Schmuck“ und „Silber“ sind rot angekreuzt, müssen also abgegeben werden. Am 12. 5. 1941 wird der Ausreiseantrag mit den entsprechenden Streichungen endlich genehmigt. Das Handgepäck wird am 16. 5. 1941 freigegeben, ansonsten begrenzt auf 100 kg Reisegepäck pro Person. Noch am 8. 8. 1941 meldet die GESTAPO an den Oberfinanzpräsidenten der Devisenstelle, dass die Unbedenklichkeitsbescheinigung bezüglich des Umzugsgutes erteilt wurde und schließt damit ein Verfahren ab, das mit den Anträgen der Kahns schon am 14. 11. 1939 begann. Aus der Devisenakte Abt. 519/3 Nr. 23200 erfahren wir, dass Julius Kahn vom 23. 2. 1920 bis zum 23. 2. 1938 in Groß-Gerau wohnte, 1936 ein Einkommen von 4000 RM erzielte, 1937 5000 RM und 1938 3300 RM. Die Besteuerung seines Vermögens belief sich zum 1. 1. 1935 auf 81.750 RM und zum 6. 11. 1939 24.650 RM. Zusammen mit dem Umzugsgutverzeichnis waren Rentenbescheid, Tax-Verzeichnis (Steuer bzw. Zoll in Höhe von 3633 RM), die DEGO-Abgabe in Höhe von 1520 RM zu erwirken, zu entrichten und einzureichen. Die DEGO hatten alle jüdischen Auswanderer über die Deutsche Bank als „ersatzlos Abgabe gemäß Devisenstelle“ zu leisten. Das Devisenverfahren wurde am 24. 11. 1939 eingestellt; die gesetzliche Grundlage dafür war nach der Reichspogromnacht am 12. 12. 1938 geschaffen worden: „Genehmigung zur Verbringung von Umzugsgut ins Ausland lt. Devisenbewirtschaftung“. Julius Kahn schreibt am 24. 11. 1939 an die Devisenstelle, dass er die (angekreuzten) Silberbestecke abgegeben und dafür neue unechte gekauft habe, da die Mitnahme abgelehnt worden sei. Der Zweifel über den Sinn derartiger Schikane ist nicht zu überhören. Sein Akkordeon kann er gegen zusätzliche Zahlung von 50% DEGO auf den Wert oder Kaufpreis mitnehmen. Die Jüdische Kultusgemeinde in Frankfurt bestätigt am 24. 5. 1940, dass die gewünschten Gegenstände abgeliefert und DEGO bezahlt worden sei, so dass das Verfahren abgeschlossen werden kann. Die Auswanderung verzögert sich, da Julius kriegsbeschädigt und körperverletzt ist. Zum 20. 5. 1941 sind Schiffsplätze von HAPAG via Lissabon zugesagt. Der Schriftverkehr kommt inzwischen aus der Leerbachsstraße 112, wohin Kahns umgezogen sind. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung liegt seit dem 14. 2. 1941 vor. Am 20. 8. 1946 wendet sich Karl Kahn an die Devisenstelle in Frankfurt mit der Bitte um Rückerstattung des Golddiskonts, der für das Umzugsgut von Julius Kahn und Familie, Lersnerstraße 4, bezahlt wurde, „aber später von der Gestapo beschlagnahmt und versteigert wurde.“ Das von der GESTAPO beschlagnahmte Umzugsgut nämlich, für das 1722,50 RM entrichtet wurden, wurde nicht mehr transportiert, sondern die Kisten wurden am 28. 5. 1941 abgeholt und öffentlich versteigert. Gefordert wird die Rückzahlung von 1722,50 DM + 5% Zinsen für 6,5 Jahre, zusammen 2282,30 DM. Im Falle der Weigerung werden Maßnahmen der Militärverwaltung angedroht. Anbei liegend die Reisegepäck-Listen Koffer I und Koffer II, die der Zoll in Berlin „beklaut“ habe. Die Adressaten in Deutschland antworten am 11. 10. 1946, dass die Anschuldigungen stimmen, man aber das Wiedergutmachungsgesetz abzuwarten habe. In der eigentlichen Rückerstattungssache für Julius und Leopold Kahn OHG treten als Erben auf: Frieda Kahn, geb. Flörsheimer, und ihr Sohn Karl, Chicago. Die Erben erklagen Rückerstattung gegen Philipp Hauf II und dessen Ehefrau Charlotte Hauf, geb. Schmaltz, und Heinrich Süß II und dessen Ehefrau Margarete Süß, geb. Krumb. Aus dem Beschluss der Rückerstattungskammer in Darmstadt vom 31. 1. 1953 folgt kein Vergleich, also wird an das Landgericht Darmstadt überwiesen. Das Landgericht Darmstadt entscheidet am 6. 10. 1953 für Frieda Kahn, Karl Kahn, Fritz Kahn in Amsterdam, Bina Lambert, geb. Kahn in Kalifornien, Suse Sedlik, geb. Kahn, New York, Frank Kahn, New York und Gustav Kahn, USA, gegen die Eheleute Hauf und Süß (wie oben). Das Objekt (Grundbuch Bd. 4 Bl. 271) bleibt zu einem Viertel bei den Antragsgegnern gegen Zahlung von 1250 DM und 375 DM Gerichtskosten. Am 15. 10. 1953 kommt daraufhin ein rechtswirksamer Vergleich zustande: Die Antragsgegner zahlen jetzt 2500 DM plus 2500 DM, treten die Lastenausgleichsansprüche ab und übernehmen 460 DM Gerichtskosten. Die Geschichte der Darmstädter Straße 12 (Grundbuch IV Bl. 271) rekonstruiert die Erbfolge und damit die Verwandtschaftsbeziehungen der Familie Kahn so (HH STAWI 1 WI K1884): Leopold Kahn (Tod durch Deportation Theresienstadt - Auschwitz 1944) wird von seinem Bruder Gustav Kahn (1887-1957) beerbt, die Ehefrau von Leopold Kahn, Johanna, geb. Kahn, mit Leopold 1944 zusammen umgekommen, werden beerbt von: 1. zwei Kindern der Schwester Johannas = Therese, geb. 1882, gest. 24. 12. 1941, nämlich Dr. Fritz Kahn und Bina Lambert, geb. Kahn zu je 1/6 Der die „Arisierung“ vollziehende Kaufvertrag zwischen den Eheleuten Philipp Hauf II (Tanzlehrer) und Charlotte, geb. Schmaltz, Groß-Gerau Luisenstraße 7 und H. Süß II einerseits und Julius Kahn, FfM, Lersnerstr. 4, verh. m. Frieda Kahn geb. Flörsheimer sowie Leopold Kahn, Frankfurt a. M., Bockenheimer Str. 91, verh. mit Johanna Kahn, geb. Kahn, wurde am 7. 8. 1939 beurkundet durch RA H. Kraft. (Grundbuch Flur I, Nr. 539, Hofreite i. d. Galgenstraße). Der Kaufpreis betrug 38.000 RM, der Einheitswert 42.200 RM. Am 2. 11. 1939 wurde der Kaufpreis auf 35.200 RM bei einem Einheitswert von 38.000 herabgesetzt. Die Kahn-Erben fordern 8000 DM für das augenscheinlich durch Kriegseinwirkungen zerstörte Anwesen. Julius Kahn, gest. 9. 5. 1949 wird beerbt von seiner Witwe Frieda Kahn, geb. Flörsheimer zu einem Viertel und seinem Sohn Karl zu drei Viertel; am 22. 7. 1952 wird festgestellt: Bares Geld haben Kahns aus dem Verkauf nicht erhalten, da der Kaufpreis auf einem Sperrkonto blockiert wurde. Ihre Judenvermögensabgabe betrug 9250 RM, die Reichsfluchsteuer 4982 RM, die Golddiskontabgabe 1722,50 RM, die Auswandererabgabe 1758 RM. RA Kraft hatte 15.571,48 auf das Sperrkonto überwiesen. Am 2. 9. 1952 teilt das Ortsgericht Groß-Gerau die Schätzung des Grundstücks (Flur 1539 GG) „in der Galgenstraße“ (= Darmstädter Str. 12, Hofreite, 515 qm) mit: Der Wert beläuft sich auf 2060 DM. Am 16. 12. 1952 fehlen immer noch Erbscheine; die Erben bestehen auf Rückerstattung in Natura. Der Beschluss vom 31. 1. 1953 enthält keine gütliche Einigung, und es findet eine weitere Verhandlung der Wiedergutmachungskammer am Landgericht Darmstadt statt. Ein Vergleichsversuch über 4600 DM wird abgelehnt; die Erben wollen jetzt 10.000 DM oder Naturalrestitution. Als Erben der Johanna Kahn, geb. Kahn, deren Tod auf den 31. 12. 1945 festgesetzt wird, treten jetzt auf: Am 17. 6. 1951 hatte Gustav, Bruder und Erbe nach Leopold, einem Vergleich zugestimmt, wonach die Antragsgegner 2300 DM und nochmals 2300 DM, gestundet auf ein Jahr, zahlen. Im Beschluss Landgerichts Darmstadt vom 6. 10. 1953 vergleichen sich die Kontrahenten: Zu einem Viertel bleiben die Objekte im Besitz der Prozessgegner gegen Zahlung von 1250 DM + 375 Prozesskosten. Am 15. 10. 1953 wird festgestellt, dass zwei ideelle Viertel bei den Antragsgegnern gegen Zahlung von 2500 DM + 2500 + 10% des Lastenausgleichs für Kriegsschäden + 460 Prozesskostenanteil bleiben. Der Schlussbericht folgt im Dezember 1953. Die Geschichte des Kaufhauses ist im Grundbuchamt Groß-Gerau ausführlich dokumentiert: Am 24. 4. 1920 erwerben Julius Kahn, Kaufmann in Worfelden, verheiratet mit Frieda Kahn, geb. Flörsheimer und Leopold Kahn II., Kaufmann in Worfelden, verheiratet mit Johanna Kahn, geb. Kahn von Konrad Momberger, Vertreter der Fa. Feith und Momberger für 80.000 M die Darmstädter Straße 12 in Groß-Gerau. Julius und Frieda legen bei Notar C. Kleinschmidt Identitätskarten der französischen Besatzungsmacht in Groß-Gerau vor, um sich auszuweisen. Im August werden alte Sicherungshypotheken in neue Briefhypotheken umgewandelt. Die Höchstbetragshypothek an Julius und Leopold Kahn und Ehefrauen beträgt 210.000 M am 31. 7. 1922. Das entspricht 1925 höchstens 3 kg Feingold. Am 19. 8. 1934 beantragt die Witwe Eva Momberger aus Hanau, Leimenstraße 1 I beim Amtsgericht Groß-Gerau „mit deutschem Gruß“ einen Grundbuchauszug für das Anwesen Darmstädter Straße 12 „zwecks Erlangung der Kleinrentnerhilfe“. Waren die 80.000 M, die sie für das Anwesen 1920 erlöst hatte durch die Inflation verlorengegangen? Weitere Eintragungen auf Grundbuch Bd. IV Bl. 271 beziehen sich auf Sicherungshypotheken auf Julius und Frieda Kahn über 16.000 RM am 5. 6. 1937, beurkundet durch Engeroff, „ältester Gerichtsmann“ und auf eine Sicherungshypothek, beantragt von Leopold II. und Johanna Kahn, damals Kaufmann in Frankfurt a. M., Bockenheimer Landstraße 91 auf ihren Anteil von 12.750 RM zugunsten des Deutschen Reiches am 16. 2. 1938. 1939 wird bereits an „Julius Israel Kahn“ adressiert, der Mitbesitzer der Hofreite „in der Galgenstraße“ (Fl. I, Nr. 549 2/10) ist, und alle „Israel“ und „Sara“ Kahn unterschreiben am 19. 5. 1939 die Löschung der Aufwertungshypothek (Fl. I 539 2/10 Hofreite von 515 qm) über 7331 RM. Die Post wird an Julius Israel Kahn, Frankfurt a. M. Lersnerstraße 4 I zugeschickt. Im Notariat H. Kraft verkaufen die beiden Ehepaare Kahn, Julius, Lersnerstraße 4, Frankfurt a. M. und Leopold, Bockenheimer Landstraße 91, Frankfurt a. M. am 8. 8. 1939 an den Tanzlehrer Philipp Hauf II. in Groß-Gerau, Luisenstraße 7 und dessen Ehefrau Charlotte, geb. Schmaltz und an den Kaufmann Heinrich Süß II., Darmstädter Straße 12 sowie dessen Ehefrau Margarethe Süß, geb. Krumb das Grundstück Fl. I Nr. 5392/10 „Hofreite in der Galgenstraße“, das sie 1920 erwarben, für 38.000 RM zum Eigentum von je einem Viertel auf Eheleute Hauf II. und Süß. „Die Verkäufer erklären, dass sie Juden sind“ lt. Jüdischem Vermögensgesetz vom 3. 12. 1938. Der Einheitswert der Liegenschaft beträgt 43.200 RM. Die Genehmigung des Verkaufs durch den Reichsstatthalter erfolgt nur unter der Maßgabe, dass der Kaufpreis auf 35.200 RM herabgesetzt wird. Den Kaufvertrag, der nachbeurkundet werden muss, unterzeichnen nicht mehr die Eheleute Kahn, sondern in deren Vertretung Else Herbert, während Philipp Hauf II, Charlotte Hauf, Heinrich Süss II. und Margarete bei Rechtsanwalt Kraft anwesend unterschreiben. Die Vollmacht an Else Herbert, Göbelstraße 8, seitens der Eheleute Kahn datiert vom 14. 11. 1939. Weitere Schuldanerkenntnisse durch Hauf und Süss im Jahre 1940 werden hier übergangen. Am 23. 8. 1941 fordert der Landrat Abschriften folgender Kaufverträge beim Amtsgericht Groß-Gerau, Grundbuchabteilung an: 1. Marxsohn - Orschler Diese Übersicht diente sicher zum Nachweis der erfolgreichen „Arisierungen“ in Groß-Gerau und belegte den Vollzug gesetzlicher Bestimmungen auf Orts- und Kreisebene zur „Nachprüfung von Entjudungsgeschäften“. Am 12. 3. 1942 erteilt Heinrich Süß II. „zur Zeit im Heeresdienst“ Vollmacht an seine Ehefrau Margarethe, unterzeichnet „Bad Ssarow“. Batterie Luftsperrersatzabteilung I V, Oberleutnant.“ Die Nachkriegsgeschichte beginnt mit der Bitte von Julius Kahn 7716 N Harkins, Chicago 26, Il. an das Grundbuchamt im Amtsgericht Groß-Gerau um einen Grundbuchauszug zum Wohn- und Geschäftshaus in der Darmstädter Straße 12 lt. Kaufvertrag vom 7. 8. 1939 mit Hauf/Süß, vollzogen „auf der Mitteldick bei Frankfurt a. M“. „Er muss enthalten, wann die Genehmigung der Partei erfolgte und den Einheitswert. Die Kosten werde ich Ihnen durch Internationalen Rückantwortschein durch die Volksbank bezahlen“… „Im Voraus besten Dank“ Julius Kahn. Am 27. 1. 1949 bestätigt das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Darmstadt, dass Julius Kahn die Rückerstattung des Objekts (Bd. II Bl. 2761 Fl I Nr. 539 2/10) im Grundbuch beantragt hat. Rückwirkend zum 5. 11. 1946 wird vom gleichen Amt am 8. 7. 1949 die Vermögenssperre auf H. Süss, Mainzer Straße 35 und Ph. Hauff, Luisenstraße, ausgesprochen. Vier Jahre später, am 23. 10. 1953 fordert die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht in Darmstadt die Grundbuchakten in Groß-Gerau an und verweist auf Verhandlungstermine. Im Oktober 1953 teilt das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung dem Amtsgericht mit, dass die Rückerstattungssache durch Vergleich erledigt sei, soweit es sich um das Viertel handelt, für das Leopold Kahn als Eigentümer eingetragen ist. Eine Woche später, am 31. 10. 1953 folgt der Hinweis, dass zwar die Rückerstattung durch Vergleich erledigt sei, Sperrvermerke aber auf dem Eigentumsanteil der früher Johanna, geb. Kahn, gehörte, weiterhin ruhen. Der Vergleich beim Landgericht Darmstadt vom 15. 10. 1953 findet zwischen folgenden Personen statt, die teils (als Witwe und Sohn) Nacherben des Julius Kahn, teils (als Nichten oder Neffen) seiner Schwester Johanna, teils (als Bruder) Leopolds sind: 1. Frieda Kahn, geb. Flörsheimer, Witwe Prozessbevollmächtigter für 1(-6) Ra. Niederauer, Offenbach zu 7) Legal Aid Department, Frankfurt a. M., Friedrichstr. 29 Der Vergleich bezieht sich nicht auf das Viertel auf Frieda Kahn, geb. Flörsheimer und Julius Kahn. Kern der Entscheidung: Die Antragsgegner zahlen an 1) und 2) sofort 2500 DM und ebenso an 1) und 2) 2500 DM für Hausrat und Mobilien, treten 10% ihrer Kriegsentschädigungs- und Lastenausgleichsansprüche an die Antragsteller ab und zahlen 460 DM für außergerichtliche Kosten der Antragsteller (1) u. 2) sowie deren Gerichtskosten. Am 29. 12. 1953 verkaufen Charlotte Hauf, Luisenstraße 7, und H. Süss zusammen mit Ehefrau Margarete, Mainzer Straße 10, das „Trümmergrundstück“ Darmstädter Straße 12 an Fritz Kahn, verh. mit Elfriede, geb. Schneider, Annastraße 1, für 12.000 DM, die Stadt verzichtet 1954 auf ihr Vorkaufsrecht, Ehepaar Kahn bestellt eine Grundschuld über 40.000 DM. Im Erdgeschoss des wieder aufgebauten Trümmergrundstücks Darmstädter Straße 12 hat sich Schade und Füllgrabe eingerichtet. 1954 beantragt das Ehepaar Kahn zugunsten des Rechtsanwalts Dr. Arthur Keil aus Rüsselsheim, Mainzer Straße 19, eine brieflose Grundschuld von 5000 DM und die Dienstbarkeit zur Benutzung von sechs Räumen im ersten Stock sowie einen Aktenkeller. Die Grundbuchakte in Groß-Gerau enthält für das Jahr 1955 einen ausführlichen Vermessungsplan über den alten und neuen Bestand des Eckgrundstücks Darmstädter Straße 12 – Sandböhl-Platz. Die Inhaber Eheleute Kahn übergeben an ihre 1947 und 1949 geborenen Töchter Christel und Ellen schließlich die Liegenschaft gegen lebenslänglichen Nießbrauch der Eltern. |