Walther-Rathenau-Str. 7 (früher Adolf-Hitler-Str. 9)
Hier wohnte | Alter
im Jahr 1933 |
Schicksal | Bemerkungen |
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Albert Hirsch | ? | gest. vor oder nach 1933 | Viehhandlung im Hause von Siegfried Blatt Walburgastr. 1 mit Stallungen bei Adolf-Göbel-Straße; verzogen nach FfM |
Ida Hirsch geb. Meininger geb. 29.6.1877 |
56 | ermordet in Minsk | Ehefrau und Witwe von Albert |
Heinrich Gottschalk Hirsch geb. 14.10.1903 |
30 | Flucht in die USA | Sohn von Albert und Ida |
Minna Hirsch geb. 11.11.1908 |
25 | ??? | Tochter von Albert und Ida |
Recherchen ergaben folgende Informationen über die Menschen und die Häuser, in denen sie wohnten:
Wie erging es Albert und seiner Witwe Ida Hirsch, geb. Meininger, und anderen Mitbewohnern der Rathenau-Straße 9? Da Ida Hirsch verwitwet ist, ist Alberts Tod schon vor oder während des „Dritten Reiches“ sehr wahrscheinlich. Eine Ida Hirsch dieses Jahrgangs ist in Minsk „verschollen“. Ob Minna Hirsch, Jg. 1908, eine Tochter ist und ob diese ebenfalls deportiert wurde, bleibt offen. Keine der Gedenk-Listen nennt sie, allerdings ist sie in der 198 Namen jüdischer Einwohner enthaltenden Liste des Bundesarchivs Berlin verzeichnet. Die ledige Ida Hirsch, geb. am 31. 7. 1898 in Groß-Gerau, ist verfolgungsbedingt im Sommer 1939 nach Frankfurt a. M. umgezogen. Es könnte sein, dass sie als Zwangsarbeiterin bei der Fa. „Paveck“ in Frankfurt gearbeitet hat. Auch ist wahrscheinlich, dass sie bei der 2. großen Deportation am 11./12. 11. 1941 ins Ghetto Minsk verschleppt wurde. Dort ist sie „verschollen“. Die Fragen sind nicht abschließend zu entscheiden. Eine Geschichte aus der Zeit der Hochinflation 1923: Die Flurstücke 636 12/100, 636 23/100 und 636 24/100 zwei Grabgärten in der alten Ringstraße = Walther-Rathenau-Straße = Adolf-Hitler-Straße = Walther-Rathenau-Straße und die dazugehörige Hofreite haben eine sehr wechselreiche Geschichte vorzuweisen. Erworben wurden sie von Dr. Wilhelm Lettermann und seiner Frau Ottilie, geb. Schmehl zum 27. 2. 1902. Lettermann ist aus der Geschichte der Höheren Bürgerschule und Oberrealschule für Jungen als langjähriger Direktor dieser Anstalt bekannt und er wohnte, wie leicht zu erkennen, ganz in der Nähe seiner Wirkungsstätte. Wilhelm Lettermann und Ottilie Schmehl haben 1900 geheiratet. Am 17. 11. 1923 schloss Wilhelm Lettermann zusammen mit Ottilie, geb. Schmehl über Bevollmächtigte einen Kaufvertrag mit der Witwe des Apothekers Adolf Spiegel ab, die in Nashotah, Nord-Amerika lebte. Diese Adele Spiegel, geb. Toser, verwitwete Spiegel, kaufte die Immobilie Lettermanns in der Ringstraße für sage und schreibe 1.000.000.000 Mark. Der Bevollmächtigte für das Geschäft war Lettermann selbst (9. 11. 1923). Mit dem Kaufvertrag vom 30. 6. 1925 kauften die Eheleute Lettermann von der Witwe Adele Spiegel die Hofreite wieder zurück und zwar zum Preis von ebenfalls 1 Milliarde Mark. Die Sicherungshypothek von 3000 GM 1925 wird Ende 1926 durch Briefhypotheken ersetzt. Die Erklärung für diesen Hin- und Her-Kauf liegt in folgender Feststellung in der Rückübertragung vom 8. 7. 1925: „Wegen drohender Ausweisungsgefahr durch die Franzosen wurden die Grundstücke 1923 auf eine Cousine Spiegel, Aadele, geb. Toser in Amerika aufgelassen.“ Man erinnert sich, dass Franzosen in Groß-Gerau 1923 die Besatzungsmacht waren und die Grenze zwischen besetztem und nicht besetztem Gebiet irgendwo über den Marktplatz verlief, also auf jeden Fall zwischen Klein – und Groß-Gerau. Am 20. 1. 1931 verkaufen die Eheleute Lettermann ihr Anwesen an Heinrich Gottschalk Hirsch, Kaufmann in Groß-Gerau für 20.000 GM zum 1. 4. 1931 (Grundbuch Ringstraße I, 636). Heinrich Gottschalk = Heini Hirsch beantragt am 20. 5. 1932 für die Albert Hirsch Ida, Witwe, geb. Meininger eine Grundschuld von 5000 GM und am 12. 9. 1934 eine Briefgrundschuld zugunsten der Volksbank Groß-Gerau über 10.000 GM; 1935 werden die 5000 GM auf Ida Hirsch an die VOBA abgetreten. Ida Hirsch wohnt in der Rathenau Straße 9, ihr Bruder Eugen kann 1932 keine Auskunft darüber geben, ob sie oder ihr Sohn Heinrich auf das Grundstück eingetragen ist. Die am 20. 1. 1931 von den Eheleuten Lettermann an Heinrich Gottschalk Hirsch veräußerten 607 qm Ringstraße 9 wurden am 15. 7. 1936 bereits neuerlich übertragen. Diesmal an die Firma Faulstroh, Stanz- und Walzwerk Groß-Gerau, laut Kaufvertrag vom 30. 10. 1935. Am 27. 8. 1938 geht das Objekt laut Kaufvertrag vom 15. 3. 1938 an die Bezirkssparkasse Groß-Gerau über und am 12. 1. 1951 laut Kaufvertrag vom 27. 9. 1950 wieder an die Firma Faulstroh. Die Grundstücke werden katastermäßig vereinigt zu Flur I Nr. 636/ 11 unter der Nr. Walther-Rathenau-Straße 9 (18. 6. 1955). Die Grundstücksbezeichnung ist jetzt „Walther-Rathenau-Straße 7“, eingetragen im Grundbuch Bd. 79/ Bl. 4000, Eigentümer: Firma Jakob Faulstroh. Der Attorney G. H. Lissner, New York, wünscht am 22. 11. 1966 einen Grundbuchauszug für die Zeit von 1928 bis 1958 für Heinrich Gottschalk Hirsch - dieser muss also überlebt haben. Danach hat Heini die Ringstraße 9 am 30. 10. 1935 an die Firma Otto Faulstroh OHG für 17.000 RM verkauft. Die Zustellungsurkunde vom 22. 7. 1936 war an Heinrich Gottschalk Hirsch, Mainz, Rheinallee 3.I gerichtet. Am 15. 3. 1938 hatte der Fabrikant Otto Faulstroh die Immobilie für 22.000 RM an die Bezirkssparkasse verkauft. Die Vermögenssperre auf die Walther-Rathenau-Straße 9 fiel auf den 24. 9. 1946. Die JRSO verlangt Grundbucheinsicht am 12. 10. 1949 und kennt sich in der Eigentümerabfolge Bezirkssparkasse – J. Faulstroh – Heinrich Gottschalk aus. Im Jahre 1950 ist belegt, dass das Rückerstattungsverfahren durch Vergleich zwischen Jewish Restitution Successor Organization und Bezirkssparkasse erledigt ist. Die IRSO ist die Nachfolge für erbenloses und nicht beanspruchtes jüdisches Vermögen gemäß Artikel 8 ff. des Militärregierungsgesetzes Nr. 59. Die Transfergeschichte wird noch einmal rekapituliert: Was ging voraus? Im September 1950 erwirkt die Bevollmächtigte Tina Abraham i. A. der JRSO eine Vergleichsurkunde: Durch Kaufvertrag von Heinrich Gottschalk Hirsch vom 30. 10. 1935, Auflassung am gleichen Tag erfolgt am 15. 10. 1936 Umschreibung auf die OHG J. Faulstroh; die Firma Faulstroh verkauft am 15. 3. 1938, aufgelassen am gleichen Tag, und die Umschreibung auf die Bezirkssparkasse folgt am 27. 8. 1938. Damit ist die spätere Kreissparkasse rückerstattungspflichtig, obwohl sie weiter veräußert hat. Die IRSO hat fristgerecht gehandelt, eine Anmeldung von Heinrich Hirsch persönlich liegt nicht vor. Die Bezirkssparkasse zahlt 4000 DM gegen Ablösung aller Ansprüche zum 19. 8. 1950 an den Nacherben Heinrich Gottschalk Hirsch. Das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung hebt die Sperre auf die Walter-Rathenau-Straße 7 auf. 1965 lässt die Kreissparkasse sich unter diesem Namen im Grundbuch eintragen. |