Pogromnacht - die Durchführung
Den Anordnungen der Nazipartei folgend, veröffentlichte die Lokalzeitung von Groß-Gerau die Lüge, daß aufgebrachte Bürger die Synagoge anzündeten und diese den ganzen Tag brannte. Die Feuerwehren schützten die Umgebung vor der Ausbreitung des Feuers und erst am Abend (!) traf die SA-Einheit 221 aus Rüsselsheim ein, um die Öffentlichkeit vor den einstürzenden Mauern zu beschützen. Ein Zeuge gab an, daß er nur das von SA-Männern umringte Gebäude sah, und diese die Bevölkerung hindern wollten, sich den einstürzenden Mauern zu nähern. Eine weitere Etappe bei den Angriffen gegen die Juden bildete das Eindringen in ihre Wohnungen und Häuser. Es sieht so aus, als hätten sich an diesen Zerstörungshandlungen sowohl einheimische SA-Leute beteiligt als auch solche Menschen aus der Bevölkerung, die sich an dem Diebesgut bereichern wollten. Am 11. November berichtete der Führer der SA-Brigade Starkenburg über die in seinem Bezirk durchgeführten Zerstörungen.
Goebbels verfügte am 10. 11. 1938: "Es ergeht nunmehr an die gesamte Bevölkerung die strenge Aufforderung, von allen weiteren Demonstrationen und Aktionen gegen das Judentum, gleichgültig welcher Art, sofort abzusehen. Die endgültige Antwort auf das jüdische Attentat in Paris wird auf dem Wege der Gesetzgebung bzw. der Verordnung dem Judentum erteilt werden." Dies wurde - wie anderswo auch - in Groß-Gerau nicht befolgt, ein weiterer Beweis dafür, daß, was nicht spontan begann, auch nicht spontan aufhört. Die Hessische Landeszeitung vom 11. 11. 1938 sprach jedoch von "spontanen Kundgebungen":
Wie überall kam es gestern auch in der Kreisstadt und in den Orten des Kreises, in denen noch Juden ansässig sind, zu spontanen Kundgebungen der Bevölkerung gegen die Vertreter des Judentums, die in der begreiflichen Erregung aller Volkskreise über den feigen Meuchelmord an Gesandtschaftsrat 1. Klasse vom Rath, der von einem Judenbengel in Paris begangen wurde, ihren Ursprung hat. Als das Ableben des jungen deutschen Diplomaten in Paris, Gesandtschaftsrat 1. Klasse vom Rath bekannt wurde, bemächtigte sich auch der Bevölkerung des Heimatkreises eine ungeheuere Erregung, die sich in spontanen Kundgebungen gegen das Judentum Luft machte. Die fortgesetzten unbeschreiblichen Greueltaten jüdischer Mordbuben hatten schon lange die Menschen deutschen Blutes im Innersten bewegt. Jetzt, als der unzähligen Reihe schandbarer Vergehen ein neuer Meuchelmord hinterlistigster Art folgte, war das Maß voll. Es ist nur zu begreiflich, daß die Bevölkerung sich gestern in berechtigtem Grimm gegen die Vertreter des Judentums wandte. Als in den frühen Morgenstunden die Synagoge in Groß-Gerau brannte und auch die Wagenhalle des israelitischen Friedhofs in Brand aufging, sammelten sich erregte Menschenmaßen in den Straßen der Stadt. Überall hörte man aus den Worten der Volksgenossen die helle Empörung heraus, mit der die Nachricht vom Hinscheiden des ermordeten Deutschen Diplomaten aufgenommen wurde. Die öffentliche Meinung war derart, daß zum Schutz des Lebens der noch in der Kreisstadt ansässigen Juden, deren Inschutzhaftnahme geboten erschien. So wurden denn in den Vormittagsstunden des Donnerstag (dem 10.11.) die Juden männlichen Geschlechts von der örtlichen Polizei in Schutzhaft genommen und in Gewahrsam gebracht. Als die Hebräer in die Schutzhaft abgeführt wurden ließen es die Menschenmengen, die diesen Vorgängen mit lebhaftem Interesse beiwohnten, nicht an deutlichen Ausdrücken ihrer Abscheu über das Judenpack fehlen. Keinem Juden wurde indessen ein Haar gekrümmt! Die Polizei nahm in den Wohnungen der Juden Hausdurchsuchungen vor und förderte Stich- und Schußwaffen zutage. Die Bevölkerung begleitete die erforderlichen Aktionen in der Haltung, die ihnen ihre Einstellung zu den Geschehnissen der letzten Zeit vorschreibt. Den ganzen Nachmittag über stand vor dem Stadthaus in Groß-Gerau, wo die Juden inhaftiert waren, eine erregte Menschenmenge. Vor Geschäften und Wohnhäusern der Juden kam es zu lebhaften Demonstrationen. Bis in die Abendstunden bevölkerten die Menschen die Straßen und gaben immer wieder ihre Verachtung gegenüber der Judenclique Ausdruck. An den Brandstätten versah die Feuerwehr die Brandwache. Gegen Abend traf aus Rüsselsheim der Pioniersturm 221 ein, der die Aufgabe hat, Gefahrenmomente, die sich aus dem Einsturz der im Inneren völlig ausgebrannten Synagoge ergeben könnten, zu beseitigen. Erst als die Nacht völlig hereingebrochen war kehrten die Volksgenossen in ihre Wohnungen zurück. Während in Paris ein Deutscher der Kugel eines jüdischen Meuchelmörders zum Opfer fiel, hat man bei uns die Juden in Schutzhaft genommen, um sie vor Ausschreitungen der erregten Volksmassen zu schützen. Die Bevölkerung aber spürte es instinktiv, daß jeder dieser Rassengenossen jenes infamen Judenbengels, der die Waffe auf einen Gefolgsmann unseres Führers richtete, zur Vergeltung herangezogen werden muß. (Hessische Landeszeitung vom 11. November 1938) |
Dokument Rapport einer SA-Brigade SA. DER NSDAP. Darmstadt, den 11. November
1938 Moosbergstraße 2
Am 10.11.1938 3 Uhr erreichte mich folgender Befehl: "Auf Befehl des
Gruppenführers sind sofort innerhalb der Brigade 50 sämtliche
jüdische Synagogen zu sprengen oder in Brand zu setzen. Die Standartenführer wurden von mir sofort alarmiert und genauestens instruiert, und mit dem Vollzug sofort begonnen. Ich melde hiermit, es
wurden zerstört im Bereich der Standarte 145: Standarte 168: Standarte 186: Standarte 221: Der Führer der
Brigade 50 (Starkenburg) aus: Walther Hofer (Hg.), Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933 - 1945, Frankfurt/M. 1977, S. 291 f. |