Schützenstraße 20 (früher Hintergasse Nr. 22) / Ecke Steinstraße
(Die Zuordnung der Häuser ist in der Schützenstraße wegen Hausnummerverschiebungen äußerst schwierig und nicht eindeutig!)

Hier wohnte Alter im
Jahr 1933
Schicksal Bemerkungen
Leopold Hirsch - ???  
Malchen Hirsch
geb. Frohmann
- gest. 2.1.1914 Ehefrau von Leopold
Ferdinand Hirsch
geb. 31.1.1874
59 deportiert nach Auschwitz; ermordet 1942

Sohn von Leopold und Malchen

Info auf Shoah-Memorial-FFM

Auguste Hirsch
geb. Dahlerbruch
geb. 23.11.1880
53 deportiert nach Theresienstadt; ermordet 1944

Ehefrau von Ferdinand

Info auf Shoah-Memorial-FFM

Johanna Schallmann
geb. Marx
geb. 18.1.1871
62

1939 unfreiwillig nach Frankfurt/M verzogen; Deportation am 1.9.1942 nach Theresienstadt; am 15.5.1944 nach Auschwitz; dort ermordet;

 

heiratet 1921 den Hirsch (= Vorname) Schallmann (geb. 14.9.1857; gest. 10.12.1924). Aus der Heiratsurkunde (externer Link):
...heiratet der Handelsmann Hirsch (= Vorname) Schallmann, geb. 14. 9. 1857 zu Dornbirn  in Rußland Datum der Geburt durch Naturalisationsurkunde des Hess. Ministeriums des Innern und der Justiz nachweislichen. Wohnhaft in GG
die Haushälterin Johanna Marx bekannt, geb. am 18. 1. 1871 zu Oppau in der Pfalz  Israelitisches Geburtenverzeichnis Nr. 4 der Gemeinde Oppau. Wohnhaft in GG
Trauzeugen der Bürgermeistersekretär Wendel  Bender der dritte 27 Jahre alt , wohnhaft in Geinsheim, der Polizeidiener Georg Schaffner der Vierte 35 Jahre alt wohnhaft in GG
Unterschrieben  Hirsch Schallmann
Johanna Schallmann geb. Marx
Wendel Bender III:, Georg Schaffner IV. Standesbeamter Urban Gross-Gerau, den 10. 3. 1921

Recherchen ergaben folgende Informationen über die Menschen und die Häuser, in denen sie wohnten:

Ferdinand Hirsch, Schützenstraße 22 (heute Nr. 20), Groß-Gerau, schließt am 30. 1. 1939 einen Kaufvertrag mit Johannes Peter Berck, Hilfsarbeiter und seiner Ehefrau Katharine, geb. Schadt, Darmstädter Straße, Groß-Gerau, ab: Hirsch unterschreibt in dem Bewusstsein, dass der Vertrag wie damals üblich vom Reichsstatthalter genehmigt werden muss, „da der Verkäufer Jude“ ist. Im Sterberegister des Standesamts Darmstadt vom 3. 1. 1914 zeigt der Handlungsgehilfe Ferdinand Hirsch, Groß-Gerau an, dass die Auszüglerin Malchen Hirsch, geb. Frohmann, mit 73 Jahren, wohnhaft in Groß-Gerau, geboren in Urberau, Kreis Dieburg, verheiratet gewesen mit dem verstorbenen Leopold Hirsch, Tochter des verstorbenen Herz Frohmann und dessen ebenfalls verstorbener Ehefrau Michele am 2. 1. 1914 ihrerseits verstorben ist. Die Urkunde enthält den schönen Ausdruck, dass er „aus eigener Wissenschaft unterrichtet ist.“

Den oben erwähnten Kaufvertrag genehmigt der Reichsstatthalter am 25. 10. 1939 (Grundbuch Bd. XX, Bl. 1539): Eine Hofreite mit Grabgarten „in der Hintergaß“; verhandelt in der Kanzlei Höfle. „Dem Verkäufer wird…bis zum 1. 7. 1939…Wohnrecht in dem unteren hinteren Zimmer nebst Kammer, Platz im Stall für Holz und Kohlen, Mitbenutzung der Wasserversorgung und des Aborts, sowie freien Ein- und Ausgang“ eingeräumt. Der Verkäufer erklärt auszuwandern und will die Vermögensabgabe aus dem Kaufpreis begleichen können.

Was aus Ferdinand Hirsch geworden ist, gibt der Kaufvertrag nicht her, wohl aber, dass der Kaufpreis auf das übliche Sperrkonto zu überweisen ist, das nur gegen eingeholte Genehmigungen von Fall zu Fall verfügbar ist.

Die Geschichte des Grundstücks Schützenstraße 22 reicht bis in Eintragungen seit 1863 zurück und gehörte vor Ferdinand seit dem 2. 4. 1872 seinen Eltern Leopold Hirsch und dessen Ehefrau Malchen, geb. Frohmann. Berichtenswert aus wirtschaftshistorischen Gründen ist vielleicht der Vorgang einer Aufwertungsmitteilung vom 20. 10. 1926, wonach eine Hypothek von 3900 RM zu einer von 974,20 Goldmark umgewertet wird.

Nach 1945 setzt sie sich so fort: Am 18. 6. 1949 erfolgt Vermögenssperre der Fl I Nr. 808/809: William Wolf, Chicago, hat als Erbnachfolger nach Ferdinand Hirsch die Rückerstattung am 12. 1. 1950 beantragt, und das Landgericht Darmstadt will zum Verhandlungstermin am 31. 10. 1950 die „Grundakten“ einsehen. Da das Rückerstattungsverfahren abgeschlossen ist, hebt das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung die Sperre auf und beantragt deren Löschung.

1961 liegt ein Veränderungsbestand des Katasteramtes vor, aus dem die Teilung des Grundstücks Schützenstraße 22 ablesbar ist: Um die Ecke Schützenstraße 22 ist jetzt durch Aufteilung neu hinzugekommen das Grundstück in der Steinstraße auf die Eigentümer Dietmar Liebing und seiner Ehefrau Liesel, geb. Berck.

Was können wir über den Lebensweg des Ferdinand Hirsch erfahren? Der Sohn von Leopold und Malchen ist am 31. 1. 1874 am Ort geboren, Arbeiter in Groß-Gerau bei August Hirsch, 1905 als Taglöhner bezeichnet, 1931 als Handlungsgehilfe. Seit 1907 ist er mit Auguste Hirsch, geb. Dahlerbruch verheiratet und wohnt in der Schützenstraße 22. Am 1. 3. 1939 – nach dem Verkauf seines Elternhauses im Januar – zieht er zwangsweise nach Frankfurt, zuerst in die Schützenstraße 12, dann Am Schwimmbad 9 um. Er hat also das Nutzungsrecht aus dem Verkauf kaum mehr genutzt. Alle Quellen in den Archiven lassen nur einen Schluss zu: Ferdinand hat sein Ziel, nach USA auszuwandern nicht realisieren können. Er musste die Judenvermögensabgabe in Höhe von 1050 RM zwangsweise entrichten. „Das Vermögen von Ferdinand Hirsch unterlag einer „Sicherungsanordnung der Devisenstelle“ vom 13. Juni 1940, die den monatlichen „Freibetrag“ auf 300 RM festsetzte und am 3. Juli 1940 auf 250 RM herabsetzte. Sein Vermögen belief sich am 29. Juni 1940 laut Devisenakten noch auf 3.108 RM. Er musste einen sogenannten Heimeinkaufsvertrag für mindestens 2.185 RM finanzieren und unterschreiben. „Den Unterzeichneten solcher Verträge wurde vorgegaukelt, sie finanzierten damit ihren Lebensunterhalt im Altersheim“ und ihr Überleben. Er ist aus Frankfurt nach Auschwitz in das Vernichtungslager deportiert worden, wo er am 21. 10. 1942 im Alter von 67 Jahren ums Leben kam. Laut Entschädigungsakten kam er dort später, am 27. 6. 1944 zu Tode. Im Death Register des Standesamtes von Auschwitz trägt sein Name die Nummer 37369/1942. Seine Ehefrau Auguste Hirsch, geb. Dahlerbruch in Dornheim am 23. 11. 1880, wurde ebenfalls aus Frankfurt, Am Schwimmbad 9 in der neunten großen Deportation vom 15. 9. 1942 im Alter von 61 Jahren ins KZ Theresienstadt verschleppt, wo sie nach 16 Monaten am 24. 1. 1944 starb .“Laut Verfügung vom 21. Oktober 1942 in den Devisenakten wurde das Vermögen von Ferdinand Hirsch zu Gunsten des Reiches eingezogen und verwertet.“ (Zitate aus www.jmuseum.ekao1.de/deportierte/recherche...)