Familienfoto Marx / Koppel im Garten in Bretten

Dieses Foto und die unten stehenden Briefe stellte Heidemarie Leins, Stadt- und Kreisrätin in Bretten, zur Verfügung, erreichbar unter ruediger.leins@t-online.de

Die Mutter des Groß-Gerauers Martin Marx, Emilie (Emmy) Marx, geb. Kramer, starb 1924 in Groß-Gerau und hat ein Grab auf dem dortigen jüdischen Friedhof. Ihre beiden Schwestern, Clementine und Johanna heirateten die beiden Brüder Isidor und Josef Koppel aus Bretten bei Karlsruhe.

Das Familienfoto im Garten der  Koppels in Bretten datiert von vor 1924. Abgebildet sind Martins Eltern Emil und Emilie Marx, geb. Kramer, seine Schwester Hedwig und sein Onkel, Isidor Koppel, sowie von dessen vier Kindern seine beiden Cousins Alfred und Herbert und Cousine Bertha aus der Ehe Isidors mit der 1912 verstorbenen Tante Clementine, geb. Kramer.

Außerdem sind zu sehen sein Onkel Josef Koppel und die Tante Johanna, geb. Kramer, sowie von deren vier Kindern die Cousine Gertrud Karoline. Von den vier Kindern Josefs und Johannas fehlen Albert und die Zwillinge Erna und Rudolf; von den vier Kindern Isidors und Clementines fehlt nur Jacob Gustav, der schon 1917 gefallen ist.

Das Foto zeigt von links nach rechts:
Josef  Koppel (1875-1940), Bruder von Isidor;
Gertrud Karoline Koppel (1901-1984), die älteste Tochter von Josef und Johanna, geb. Kramer;
Bertha Oppenheimer, geb. Koppel, (1895 – 1942), die älteste Tochter von Isidor und Clementine (1869-1912), geb. Kramer;
Emil Marx aus Groß-Gerau, (1873-1942 in Auschwitz), verheiratet mit Emilie, geb. Kramer;
Alfred Koppel (1898-1941 in Buchenwald), Sohn von Isidor und Clementine, geb. Kramer;
Emilie Marx, geb. Kramer (1881-1924);
Herbert Koppel (1911-1986), jüngster Sohn von Isidor und Clementine;
dahinter: Martin Marx (1911 - 1977), Sohn von Emil und Emilie Marx; 
Hedwig („Hede“) Marx (1909-1942 in Auschwitz), Tochter von Emil und Emilie Marx;
Johanna Koppel (1875-1958), Schwester von Emilie und Clementine, verheiratet mit Josef Koppel; 
Isidor Koppel (1860-1934).

 

Linkes Bild: Johanna Koppel und Hedwig Marx im Hof Sandböhl 8.
Rechtes Bild: Martin Marx und Herbert Koppel im August 1938.

Briefe von Martin Marx und Johanna Koppel:

Die folgenden Briefe wurden Wort für Wort transkribiert; die Interpunktion wurde beibehalten.

Martin Marx (Jahrgang 1911) schreibt an seinen gleichaltrigen Cousin Herbert Koppel, der 1933 nach Dänemark und später nach Frankreich emigrierte, weil er die Gefahr im nationalsozialistischen Deutschland frühzeitig erkannte.

Gross-Gerau 2.III.34
Lieber Herbes [Herbert in Dänemark],

Frohe Weihnachten, Prost Neujahr, Purim, Ostern und Pessach!
Bei unserer Schreibfaulheit hat man immer noch etwas nachzuholen, ich greife deshalb lieber gleich (bis Ostern) vor. Eben habe ich die beste Gelegenheit zum schreiben, denn ich liege seit 8 Tagen zu Bett mit – Ischias(!). Man wird alt! Eigentlich dachte ich, Du würdest einmal den versprochenen genauen Bericht von Deiner Tätigkeit schicken. Oder musst du dazu auch erst krank werden – ich hoffe, dieses dramatische Mittel brauche ich nicht anzuwenden, sonst bleibt mir nichts anderes übrig als Dich ebenfalls krank zu machen(sei es auf telepathischem Wege, sei es, dass es Dir beim Lesen dieses Blödsinns schlecht wird, sei es ….)
Hier gibt es nichts neues, und wird immer langweiliger, da einer nach dem anderen von jungen Bekannten und Freunden weggeht. Kurt Wolff u. Rudi Kreme(?) sind in Florenz, Blum in Genf, Milly Meisel hat einen reichen jungen Inder in Bandung (Java) geheiratet. Die Gross-Gerauer ist [sind] zum großen Teil nach USA.
Eine schöne Abwechslung hatte ich in meinem Winterurlaub über Weihnachten und Neujahr, den ich zum Skifahren mit Blum zusammen in der Schweiz und Frankreich verbrachte. Zuerst fuhren wir von Genf nach Megève in der Nähe des Montblanc, den 2größten franz. Wintersportplatz und blieben bis Sylvester. Hier musste die rechte Skispitze dran glauben. Aber herrlich war der Schnee, die Sonne, die hübschen Mädels etc.
Über Neujahr waren wir in Genf und danach noch einmal einen Abstecher in den Schweizer Jura (St. Cergne) wo bei einem Sprung (!) die 2. Spitze abbrach. Nach 4 Tagen in Zürich bei Ludwig Herz war dieser herrl. Urlaub zu Ende. Das sind alle meine Erlebnisse.
Ich hoffe, Du weißt mehr zu berichten.
Schreib mal herzl. Gruss Martin
(…)


Gross-Gerau 13.4.35
Lieber Herbes [Herbert in Dänemark],

Du hast schon recht, es ist bald Zeit, dass ich Dir mal wieder schreibe. Es war wirklich sehr anständig von dir, dass Du mir so regelmäßig geschrieben hast, dabei hast Du doch sicher mehr zu tun und warst abends müder geschafft als ich. Nun es gibt aber auch wirklich wenig von hier zu berichten. Dass Else Sulzbacher wieder geheiratet hat, weisst Du wohl. Jetzt muß ich den „Nachmann“ (so heißt er) bei der Kundschaft einführen, was nicht sehr schwer ist, da nicht mehr viel von der Kundschaft übrig ist. Ansonsten verläuft mein Leben etwa so abwechslungsreich wie Deines, vielleicht nicht so gesund. Werktags deprimierende Geschäfte, Sonntags einen Skat oder in Darmstadt oder Frankfurt immer in der Hoffnung auf das Erlebnis – das aber nicht kommt. An Ostern gehe ich vielleicht noch einmal für 4 Tage nach Jungholz zum Skilaufen (bestimmt!).
Es freut mich, dass Dir Dein Beruf Befriedigung verschafft und dass Du dich so gut dort eingelebt hast und gut mit den Leuten dort auskommst. Hoffentlich ist Dein Zahnweh wieder gut und das Schweizer Mädel eine angenehme Überraschung. Und last not least will ich Dir zu Deinem Geburtstag gratulieren und wünschen, dass Du bei Deiner gesunden Arbeit ein glücklicher, zufriedener und gesunder Mensch wirst.
Ich hoffe, dass wir uns jetzt bald wiedersehen und grüsse Dich herzlichst
Martin
Ein Päckchen folgt.


Gr. Gerau 2/9. 35
Lieber Herbes [Herbert],

Rasch vor Postschluss will ich Dir noch die Bilder schicken. Ich hoffe, Du bist nach den kurzen Ferien gut in N. angekommen und mit neuer Kraft an die Arbeit. Mein letztes Paket hast du wohl erhalten.
Die Abzüge sind nicht ganz glücklich ausgefallen. Du kannst Deine beiden Aufnahmen nach den Bleistiftlinien abschneiden, da wirken sie wohl besser. Die Aufnahme unter der Torhalle ist nichts geworden, da zu dunkel.
Für heute herzl. Grüsse von der ganzen Familie
Dein Martin


Herberts Tante Johanna Koppel, die nach dem Tod ihrer Schwester für Herbert Mutterersatz war, schreibt an ihren Neffen und unterschreibt mit „Mutter“. Johanna, geb. Kramer, war mit Josef Koppel verheiratet und Mutter von vier Kindern (Gertrud Karoline, Albert, Erna und Rudolf) sowie Ersatzmutter der vier Kinder ihrer verstorbenen Schwester Clementine mit Josefs Bruder Isidor Koppel Bertha, Jacob Gustav, Alfred und Herbert (siehe Familienfoto im Garten). Sie lebten in der Weißhofer Straße 42 in Bretten. Bei „Bertel“ handelt es sich um Bertha, die nach Argentinien emigrierte. Bei der „Angelegenheit“ handelt es sich um die Beantragung eines Visums aus einem begrenzten Kontingent für die Emigration in die USA. Das Anwesen in der Weißhofer Straße wurde am 6. 5. 1938 „arisiert“ und die Firma Koppel fast gleichzeitig aus dem Handelsregister gestrichen.

Bretten, 6. März 1936
Mein lieber Herbert,

ich hatte heute schon den ganzen Tag auf Brief von Dir gewartet, doch jetzt ist die Post wieder durch + es ist nichts gekommen.
Mein lieber Bub, ich habe große Sorgen um Dich + es vergeht kein Tag, an dem nicht in Gedanken bei Dir bin. Ich hoffe doch, daß Deine Hand wieder ganz in Ordnung ist + nichts zurückblieb. Ebenso möchte wissen, wie es mit der Karte ist. Ich selbst habe eben täglich nervöse Magenschmerzen + bin gar nicht auf der Höhe. Meine Rippe ist wieder in Ordnung + hoffe nächste Woche wieder im Geschäft machen zu können. Von Bertel hatten wir heute Brief, daß Us gut ankam, gleich Besuch von einem Bekannten hatte, wollen wir sehen, wie sich die Dinge nun entwickeln. Bertel hat allerhand vor. Sie hat wirklich auch noch nicht viel Schönes erlebt + würde ihr mal ein ruhiges, schönes Dasein wünschen. Martin muß am 18. Mai nach Stuttgart + glaube ich, daß sich da seine Angelegenheit regelt.
Sonst wüßte eigentlich nichts zu melden. Wir leben in unserer Einsamkeit + kommt kein Wunsch von uns + so hören + sehen wir nichts. Jeden Samstag Mittag habe 2 Stunden Ausgang, den bei Frau Ettlinger verbringe. Schrieb ich Dir schon, daß Ettlingers ganz privat sind, haben Wirtschaft + Laden geschlossen + ist nur die Schwester, eine Putzfrau + Herr + Fr. Ettl. da. Um die Wirtschaft verkaufen oder verpachten zu können, muß E. erst Verschiedenes neuzeitlich herrichten lassen, was auch geschieht. Also lb. Bub schreibe doch + lasse mich nicht in Verlegenheit. Ich muß in die Küche – Gute Nacht, bleib gesund + sei fest + innig geküßt; grüße Familie Rask
Mutter
Vater [Josef Koppel, geb. 6.3.1870] war heute 66 – läßt Dich grüßen. F. kommt wahrscheinlich Anfang April.


Herberts Tante Johanna Koppel, die nach dem Tod ihrer Schwester für Herbert Mutterersatz war, schreibt an ihren Neffen und unterschreibt mit „Mutter“. Der Brief vom 16. 3. 1936 dokumentiert die fortschreitende Diskriminierung und die um sich greifende Unruhe, auf die noch mit Emigration reagiert werden kann. Martin Marx` Emigration in die USA erfolgte amtlich zum 13. 7. 1936. Dass Briefsendungen ins Ausland geöffnet wurden, geschah wegen der Devisenbewirtschaftung des „Dritten Reiches“ und führte schließlich zur strengen Kontrolle jüdischer Auswanderer, die limitiert Devisenanträge stellen und dafür Entgelte zahlen mussten. Über „Bertel“ und „Alfred“ siehe oben. Herbert diente in Frankreich bis 1941 in der Fremdenlegion, versteckte sich bis zum Ende des Krieges und starb im Alter von 75 Jahren in Bordeaux. Johanna wurde 1940 im Alter von 65 Jahren nach Gurs / Pyrenäen deportiert, ins Lager Noé überstellt, entkam mit Hilfe ihres Sohnes Rudolf und ihres Neffen Herbert. Sie verbarg sich in Lyon und wanderte 1947 von Paris aus in die USA aus, wo sie mit 83 Jahren starb.

Bretten 16. März 1936.
Mein lieber Bub, [Herbert]
Dein letzter Brief brachte uns außer den Glückwünschen für l. Vater Deine gute Nachricht, daß Deine Hand wieder gut verheilt ist + so hoffe ich, daß Du bald wieder im richtigen Tempo ohne Schmerzen arbeiten kannst. Wir hatten seither wunderschönes Wetter, doch seit Samstag ists kalt + regnerisch + hat sogar heute wieder geschneit. Doch die Macht des Winters ist gebrochen, es blühen Veilchen + Schlüsselblumen + am 21. Ist Frühlingsanfang. Wie steht es mit Deiner Karte, auch Erne hat nicht geschrieben. Schrieb ich Dir schon, daß Martin im Mai abfahren kann? Gestern, Sonntag, war von 2 – ½ 8 Uhr in Heidelberg. Paul + seine Frau sind nach Bombay + Rudi ist in Turin. Der hat sich ganz verändert. Ich sah ein Bild von ihm + hätte ihn nicht erkannt, wenn seine Mutter es mir nicht gesagt hätte. Carla K. geht nach Johannisburg, eine beschwerliche, lange Reise jedenfalls auch Anfang Mai + so geht eines nach dem andern. Von hier weiß gar nichts. Ich habe die Absicht, nächste Woche mal nach Mannheim zu fahren + nehme Bertel das versilberte Service mit, das von Onkel Alfred kommt. Ich versprach es Bertel zum Geburtstag von Dir, es ist Dir doch sicher recht, denn was soll man mit dem Zeug. Ich möchte manches gerne verkaufen, aber es ist alles sehr schwer fortzubringen, zumal ja niemand kenne + ich das gar nicht fertig bringe. Dazu fehlt mir jegliches Talent.
Dein letzter Brief war seit langer Zeit der erste, der von der Devisenüberwachungsstelle geöffnet war. –
Ob ich Dir diesen Monat die Überweisung von 10 Mk schicken kann, glaube kaum. Evtl. mußt Du warten bis April, da das Jahr sehr knapp bei uns ist. Jedenfalls wünsche Dir m. liebes Kind alles Gute + grüße + küsse Dich fest
(…)
Mutter


Herberts Tante Johanna Koppel, die nach dem Tod ihrer Schwester für Herbert Mutterersatz war, schreibt an ihren Neffen und unterschreibt mit „Mutter“:

Bretten, 20. März 1936
Mein lieber Bub. [Herbert]
Für Deinen Brief vom 18. dieses herzlichen Dank. Ich bin froh, daß Du an Deiner Hand gar nichts mehr spürst + wieder arbeiten kannst. Ebenso, daß du Deine Karte bekommen hast, wenn die Zeit um ist, wird man wieder weiter sehen; man soll gar nicht voraus bestimmen, alles kommt doch, wie es kommen muß.
Wir sind gesund + ich habe am Samstag eine kleine Tour nach Heidelberg gemacht. Ich war von 2 – ½ 8 Uhr dorten + es war eine schöne Abwechslung für mich. Juliuses ließ ich zu Kiewes kommen + so war es ganz gemütlich. Karla fährt in einige Wochen nach Johannesburg + soll dort eine Stellung finden- Paul + Frau sind nach Bombay – Paul als Augenarzt, da dorten eine Stelle frei ist. Sonst weiß auch nichts. Morgen, Samstag, will nach Mannheim + Bodenheim + dann werden meine Reisen wieder abgeschlossen sein. Sind wir erst wieder zu Dreien, so hört das alles auf. Von uns hier kann nichts berichten. Gertrud ist auf dem Weg der Besserung, hat aber abends noch etwas Fieber. Für Martin wird es auch nicht leicht sein in U.S.A. –
Rudi Bodenheim ist nach Chile unterwegs, Jeder zieht seine Straße + jeder woanders hin, wir Alten bleiben allein + die Jungen zieht aus + wird gut sein.
Hier ist das Wetter am Tage sehr schön; doch nachts noch sehr kalt – nächste Woche wollen wir Radieschen, Erbsen, Gelberüben säen. Auch pflanzen + wieder ein großes Stück Kartoffeln, es ist gut, daß die alte Frau Schneider, noch so rüstig ist + das alles macht. Unser Holz ist auch schon gespalten, doch muß es erst trocknen, ehe es in den Stall kommt, denn vom alten Holzhaus kann ich nicht holen. Nächste Woche werde Dir m. Reiseerlebnisse berichten.
Trude will am 1.4. bei Hilde + Juler sein + ich möchte sie vorher gerne sprechen. Nun sind es nur noch 14 Tage bis 3 Wochen bis A. kommt, auch das ist vorübergegangen + ich hoffe es wird doch noch alles gut. Sonst mein Lieber, weiß nichts. Bleibe gesund, sei innig geküßt
Mutter.

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