Antisemitismus im 18. Jahrhundert

Im Stadtarchiv werden drei jüdische Familien urkundlich am Ende des 17. Jahrhunderts erwähnt. Zwei wurden vertrieben und die dritte, die Viehhandel betrieb sowie mit Stoffen handelte, durfte bleiben. Es ist möglich, daß diese Vertreibung im Zusammenhang der Erlangung der Stadtrechte gesehen werden muß, die im gleichen Jahr vom Landgraf von Hessen-Darmstadt an Groß-Gerau verliehen wurde. Diese Privilegien schlossen die Zusicherung für die Stadt ein, nicht mehr als zwei Schutz-Judenfamilien aufnehmen zu müssen. Der Landgraf hatte zweifelsohne finanzielle Interessen an den Juden und sah in ihnen eine willkommene Geldquelle, demgegenüber sahen die Händler in den Juden Konkurrenten.

Im Stadtarchiv Groß-Gerau gibt es Urkunden aus dem 18. Jahrhundert mit Gesuchen von Schutzjuden, in denen sie um Aufnahme bitten, Handel treiben zu dürfen. Die Aufnahme von Juden konnte nur der Landgraf bewilligen, er berücksichtigte dabei jedoch die Einschätzung des Magistrats, die meistens negativ ausfiel, auch wenn es sich um die Schutzjuden der Stadt handelte. Der Stadtrat erklärte, daß er neuen Schutzjuden keine Aufnahme gewähre; diejenigen, die schon in der Stadt wohnten, könnten in Ruhe dort sterben. Der Landgraf beugte sich meist diesen Forderungen, es gab aber auch Ausnahmen.

1768 forderten die Zünfte erneut die Vertreibung der Juden aus der Stadt, "da sie den Händlern ihr Brot wegnähmen". Der Landgraf kam ihren Forderungen nicht nach, und 1795 lehnte er sie endgültig ab. Im 18. Jahrhundert ernährten sich die Juden hauptsächlich von Pferde- und Viehhandel sowie vom Handel mit Baumwollstoffen. Läden durften sie nicht eröffnen; in dieser Angelegenheit gab der Landgraf den Forderungen der Handelszunft nach. Brachten die Juden ihr Vieh und die Pferde auf die Märkte, so waren sie gezwungen, eine Sondersteuer, den "Leibzoll" zu zahlen; auf den heimischen dörflichen Märkten, wurden sie davon befreit (Urkunden dazu von 1739 und 1746).

Der Gebrauch der hebräischen Sprache war den Juden außerhalb ihres Gottesdienstes untersagt. 1785 durften sie ihre Testamente, die Buchführung, ihre Geschäfte, Vereinbarungen und Verträge sowie ihre Steuereinschätzungen nicht mehr in der hebräischen Sprache abfassen, auch nicht bei Verträgen, die sie untereinander abschlossen. Aus den Steuerlisten erfahren wir, daß seit 1700 die Juden Groß-Geraus bürgerliche Familiennamen annehmen mußten.

Info-Kasten "Judenschutz" im Mittelalter
Der erhöhte Königsschutz, der den Juden in den königlichen Landfrieden des 12. und 13. Jahrhunderts versprochen wurde, hatte zur Folge, daß die offiziell als schutzbedürftig Geltenden immer mehr für unfähig angesehen wurden, Waffen zu führen, obwohl ihnen das Waffenrecht gesetzlich bis weit ins 14. Jahrhundert hinein nicht abgesprochen wurde. Wie schon früh in England und Frankreich, so wurden in zunehmendem Maße auch in Deutschland die Juden allgemein als Knechte ihrer christlichen Herren angesehen, da Gott sie (...) zu ewiger Knechtschaft verdammt habe. Die Gewinne aus der jüdischen Geschäftstätigkeit wurden vom König und von den Fürsten, denen er den Judenschutz überließ, gewissermaßen als Gewinne des eigenen Wirtschaftsbetriebes betrachtet. Als königliche "Kammerknechte" - die Bezeichnung erscheint erstmals 1236 - standen schließlich alle Juden im Reich in einem engen Unterordnungsverhältnis zum König und zu seiner Wirtschaftsverwaltung. Ihre finanzielle Ausbeutung galt als königliches Monopol, als "Regal". Die Einkünfte aus diesem sogenannten Judenregal bildeten, soweit der König sie nicht verpfändete oder zu Lehen ausgab, einen der bedeutendsten Einnahmeposten der königlichen Kammer.

Abgesehen von dem wirksamen Schutz von direkten Verfolgungen wurde aber im frühen 14. Jahrhundert die Lage (...) der( ...) Juden allgemein immer schwieriger. Einerseits wuchs ihr geschäftliches Risiko unter anderem dadurch, daß ihre Schutzherren sie von Zeit zu Zeit zwangen, ihre Zinsforderungen gegenüber bestimmten Schuldnern zu reduzieren oder ganz auf sie zu verzichten, andererseits suchten eben diese Schutzherren, ihre eigenen Einkünfte von den Juden immer mehr zu steigern. Der oberste Schutzherr schloß sich nicht aus: Kaiser Ludwig der Bayer erfand 1342 eine Sonderabgabe von einem Gulden, den man später den "güldenen Opferpfennig" nannte; er mußte alljährlich von jedem männlichen Juden ab zwölf Jahren und von jeder Judenwitwe im Reiche an den König bezahlt werden, unabhängig davon, an wen dieselben Juden ihre gewöhnlichen Steuern zu entrichten hatten.

aus: Ludwig Falck, Glanz und Elend der mittelalterlichen Judengemeinde, in: Juden in Mainz. Katalog zur Ausstellung der Stadt Mainz, Mainz 1978, S. 28 und 32

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